Die Unmöglichkeit der Möglichkeiten
Im Jahr 1989 gab es unzählige wichtige Ereignisse auf unserer Welt. So zogen die Russen ihre Truppen aus Afghanistan ab. In Chile beendete Patricio Aylwins Wahl zum Präsidenten Pinochets Diktatur. In Ägypten wurde eine 4400 Jahre alte Mumie gefunden. Und in den USA, gewann Mike Tyson den Weltmeistertitel im Schwergewicht.Hier in Deutschland feierten Millionen Menschen den Fall der Mauer. Eine Mauer, die seit über dreißig Jahren die Schwestern und Brüder ein und desselben Landes in zwei eigenständige Gruppen teilten. Freunde und Bekannte fielen sich mit Tränen in den Augen in die Arme und erfreuten sich nach jahrzehntelanger Trennung der Nähe geliebter Menschen. Sogar Fremde, die sich bis zu diesem Augenblick weder gesprochen, noch jemals gesehen hatten, fielen sich hemmungslos in die Arme. Die Wessis schluckten mit viel Mühe ihre Arroganz herunter und simulierten Zugehörigkeit und Anteilnahme. Schließlich war das Einschmeicheln die beste Strategie um sich ganz vorsichtig und unauffällig an einen unbekannten Feind heran zu tasten. Die Ossis, behaupteten böse Zungen, wollten natürlich auch tasten - wie es sich für Kinder ein und des selben Vaters gehörte. Doch hier hörten die Gemeinsamkeiten keineswegs auf. Denn auch wenn die Brüder aus dem Osten ihr ganzes sozialistisches Leben lang Kameradschaft und Hilfsbereitschaft - also materielle Armut und Entbehrung auf jeder nur erdenklichen Ebene - leben mussten, schlug der Drang zur kapitalistischen Selbstverwirklichung noch immer in diesen sternenförmig gepressten Herzen. Also tasteten sich viele flinken Finger, die einst gekonnt an Schwalben und Trabis herumschraubten, ganz unauffällig in die prall gefüllten Taschen der Gegenüberseite und fischten geschickt allerlei tolle Schätze heraus. Manch einer ergatterte die damals sehr beliebte Deutsche Mark, vorzugsweise in Scheinen und in gerollten Bündeln. Andere wiederum fanden zwar kein Geld im neuen Armanianzug eines hinabgestiegenen Erfolgsunternehmers aus dem Westen, wurden aber mit einem Stern auf dem soeben entdeckten Autoschlüssels durchaus fair belohnt. Zwar hatte der genannte Stern nur drei Zacken und nicht die gewohnten fünf, doch diese geometrische Form ging mit der Nahrung in den kommunistischen Ganztagsschulen und den fröhlichen Wanderungen unter der Roten Flagge in den sommerlichen Pionierlagern, dermaßen ins Blut über, dass für die Deutschen im Osten inzwischen jeder Stern, positive Eigenschaften barg. Und wie ein vom Himmel gefallener Stern glänzten auch die teure Karossen für alle Langfinger, die auf den überfüllten Parkplätzen der westlichen Mauerseite das Gegenstück des Schlüssels zum Glück fanden.
Mein Vater versprach sich von diesem Abend auch genügend Startkapital für sein neues Leben außerhalb der geschlossenen Ostzone und innerhalb des offenen Europas. Leider – oder muss ich an dieser Stelle sagen: zum Glück - traf er bei seiner ersten grenzübergreifenden Umarmung auf meine Mutter. So eng umschlungen spürte er plötzlich ein altbekanntes Gefühl. Ein Verlangen, das seine Gier nach Geld, Macht und Anerkennung für eine sehr kurze Zeit vollkommen überlagerte und so raubte mein Vater etwas, das meine Mutter nur einmalig zu vergeben hatte. Und so wurde ich in der drauf folgenden Nacht gezeugt.
Am nächsten Morgen wachte meine Mutter in einer kleinen verlassenen Wohnung auf. Mein Vater hatte immerhin genug Anstand gehabt ihr eine halbe Tüte frischer Brötchen da zu lassen, bevor er sich für immer nach, laut Werbung bestes Land für Weib und Wein - Frankreich, absetzte. Meine Mutter frühstückte noch gemütlich, bevor sie sich auf die Suche nach ihren liberalen Kommilitonen begab. Als begeisterte Teilnehmerin an Demonstrationen jeglicher Art, tat auch sie des Öfteren ihren Beitrag zum Fall der Mauer und zu sonstigen mit den studentischen Demonstrationen verbundenen Themen. Und so kam ihre kleine Gruppe von romantisch-rebellischen Studenten an die verhasste Mauer um ursprünglich die Früchte einer jahrelangen verbalen Erschöpfung zu ernten und an diesem historischen Tag teil zu haben. Doch bei diesem routinemäßigen Ausflug hatte meine Mutter etwas mehr als bloß neue Eindrücke und Erfahrung dazu gewonnen. Auch dreitausendundachtzig Gramm waren im Siegertopf, als ich neun Monate später aus ihr heraus purzelte.
Meine Verwandtschaft mütterlicherseits waren allesamt altreiche Snobs, die sich mit krankhafter Beharrlichkeit an alten Werten festkrallten. Daher war die Reaktion meiner Großeltern nicht all zu schwer zu erraten, als meine Mutter alsbald ihren wachsenden Bauch nicht mehr mit Kleidungsstücken alternativen Schnittes zu kaschieren vermochte. Das Geschrei meines Großvaters nahm kein Ende und hätte mit Sicherheit noch bis meinem achtzehnten Geburtstag angedauert. Doch Gott hatte wohl auch genug von geifernden Kollerikern mit roten schwabbelig aufgedunsenen Gesichtern. Also schickte er seinen Angestellten Tod vorbei und mein Großvater verabschiedete sich röchelnd und mit der rechten Hand am sterbenden Herzen von dieser Welt. Meine arme Mutter bekam die ganze Schuld an diesem Vorfall und wurde daraufhin von der Familie verstoßen. Sie kam bei einem Onkel und seiner Frau unter. Da dieser Onkel durch längst vergessene Vorfälle schon seit seiner Jugend als das schwarze Schaf der Familie galt, wunderte sich keiner über dieses Angebot seinerseits. Menschen mit solchen verdorbenen Charakteren finden immer zu einander - war die einhellige Meinung dieser Hälfte meiner Familie. Und so wie bei meinem Onkel schon vor Jahrzehnten geschehen, verschwand auch meine Mutter rasch aus der Erinnerung der geliebten Familie Stein.
Ein knappes Jahr kämpfte sich meine Mutter an meiner Seite durch unser gemeinsames Leben. Doch diese elf Monate waren das Maximum an mütterlichen Gefühlen, die sie am Stück aufbringen konnte. Es war nicht ihre Art so lange an einem Ort zu verweilen. Und mit einem Kleinkind im Gepäck war das Leben als später Hippieklon nicht halb so schön - es mangelte ihr an kompromissloser Freiheit. Also tat meine Mutter eines Nachts das Gleiche, was mein Vater nach meiner Zeugung tat: als wir schliefen, schlich sie sich aus dem Haus und verließ mich für immer. Doch im Gegensatz zu meinem anständigen Vater, hatte sie nicht einmal frische Brötchen da gelassen.
Mein Großonkel Oskar samt Frau kümmerten sich um mich, wie sie sich um ihre eigenen Kinder gekümmert hätten, wären den beiden Kinder gegönnt gewesen. Mein Onkel war ein herzlicher und lebensfroher Mensch gewesen. Bei der Erziehung war er zwar hart wenn ich von der Spur eines anständigen Menschen abdriftete – was nicht selten vorkam, doch er war stets fair und gerecht. Der Charakter meiner Tante Marta war das fast hundertprozentige Abbild der Charakterzüge meines Onkels, nur fehlte ihr seine konsequente Härte. Tante Marta ließ mir vieles durchgehen und stand immer auf meiner Seite, egal was ich wieder einmal angestellt hatte. Diese Ausgewogenheit der Pole und die ehrliche Liebe und kompromisslose Hingabe beiderseits, war die perfekte Grundlage um einen anständigen Bürger der Gesellschaft heranreifen zu lassen. Leider ließen meine Gene sich von keiner märchenhaften Harmonie beeinflussen und schrieben meine Biografie schon lange bevor ich zu denken anfing. Es war sinnlos sich gegen den festgelegten Weg zu wehren, doch das habe ich erst sehr viele Jahre später verstanden.
Ich war ein typisches Kind der digitalen Revolution. Schüchtern, sogar etwas verklemmt, minimal sprachgestört und besaß verdrehte sexuelle Ansichten. Letzteres basierte auf meinem fleißigen Studium des überaus anschaulichen Lehrmaterials im World Wide Web. Praktische Erfahrung konnte ich vorerst nur im Einzelkampf vorweisen, doch nichtsdestotrotz, in der Theorie, war ich ein absolutes As. Einige Jahre später hatte ich meine erste Freundin. Sie war etwas älter und überaus erfahren. Mit Ihren neunzehn Jahre, hatte sie genug Fertigkeiten für zwanzig anständige Leben gesammelt. Inzwischen war sie müde geworden und sehnte sich nach einem ruhigen Sein. Sie suchte nach einem gesunde unverbrauchten Jüngling, den sie nach Belieben formen konnten, der zu ihr aufsah und sie vergötterte. Sie dachte ihn in mir gefunden zu haben. Monatelang wollte sie mir ihre unausgewogenen Ansichten einer perfekten Beziehung aufzwingen. Beinahe hatte sie mich soweit gehabt ihr trotz meiner handfesten digitalen Recherchen zu glauben. Gegen Ende unserer Beziehung sprach sie über Kinder und lebenslange Bindungen. Das war eindeutig zu viel für meinen wissensdurstigen Verstand - dieser Weg schwebte mir noch nicht vor. Bald lernte ich genug von ihr und langweilte mich innerhalb der Monotonie unserer einjährigen Beziehung. Ich brauchte etwas neues. Also bäumte ich mich ein letztes Mal auf, warf die einengenden Fesseln unserer unbefriedigender Beziehung von mir und zog als freier Mann hinaus in die unbekannte Realität. Ich war bereit mich auf jedes auch so abstruse Abenteuer einzulassen.
Damals war ich achtzehn Jahre alt und rebellierte gewaltig - wie es sich für einen anständigen Jugendlichen gehörte. Meine Ersatzeltern konnten mir inzwischen nichts mehr recht machen. Egal was sie oder ich taten, es gab täglich Krach. Mein Onkel verbrachte seine Zeit immer öfter in den Kneipen und meine Tante weinte hilflos vor sich hin. Ich sah, wie ich diese kleine, einst glückliche Familie langsam zerstörte und es tat mir im Herzen weh, denn ich mochte die beiden wirklich. Doch wie sehr ich mich auch bemühte, etwas dunkles in mir, eine bösartige aufbrausende Bestie schaffte es immer wieder geschickt die Befehle meines Gehirns zu umschiffen und meinen Körper ihren üblen Launen zu unterwerfen.
Es gab nur einen Ausweg aus dieser Miesere: ich musste weg. Daher beschloss ich mir eine eigene Bleibe zu suchen. Die bescheidenen Finanzen setzten mir bei der Wahl meines neuen Heimes sehr enge Grenzen und so landete ich bald in der abgefucktesten Bruchbude, die das asozialste Viertel unserer Stadt zu bieten hatte. Zwei winzige Zimmer, ein demoliertes Bad und eine Küche, die wahrscheinlich mehr dunkelbrauner Kakerlaken beheimatete, als es Menschen in dieser Stadt gab. Das Geld, das ich sein einigen Monate als Kellner in einem alternativen Punk-Rock-Schuppen verdiente, reichte grad so um die Miete, Wasser, sowie Stromkosten zu decken. Heizkosten erübrigten sich, da die Wohnung keine Heizkörper besaß. Aber um dieses Problem wollte ich mir erst Gedanken machen wenn der Winter an meine Fenster klopfte. Für Essen und sonstige Ausgaben blieb von der Kohle nichts mehr übrig. Da musste ich leider auf Erspartes zurückgreifen. Hier dankte ich meinen Ersatzeltern für das üppige Sparbuch, das sie von meiner Geburt an pflegten. Dieses kleine Vermögen sollte mich einige Zeit prächtig ernähren. Also begab ich mich in die Unabhängigkeit mit nichts als einem Rucksack Klamotten auf meinem Rücken und diesem Sparbuch in der Tasche.
An das fremde Gefühl der zwanglosen Lebendigkeit, fernab des vertrauten Virtualität des Computers und der bequemen Sicherheit einer Familie, gewöhnte ich mich rasch. Die anfängliche ängstliche Spannung verschwand rasch und machte einer kribbelnden Erregung Platz. Die Vorfreude auf das Neue und Unbekannte nahm mich vollkommen ein und ich sog jede neue Erlebnis gierig auf. Ob ich mich in meiner Einsamkeit unwohl fühlte? Wieso, Einsamkeit ist nur ein anderes Wort für absolute Freiheit. Und ist die absolute Freiheit nicht der Idealzustand, nach dem ein Mensch vorzugsweise streben sollte?
Mit den erweiterten Grenzen meines geistigen Horizonts schwankte aber auch mein inneres, einst eingebildet stabiles Gleichgewicht. Fragen kamen auf. Wer bin ich? Warum bin ich? Was kann ich? Was soll ich? Es fiel mir nicht schwer Antworten auf all diese Fragen zu finden. Mein Problem war, mich zwischen diesen Antworten zu entscheiden. Auf jede gefundene Antwort folgte eine weitere. Und darauf hin wieder eine. Und wieder, und wieder... Es nahm einfach kein Ende. An diesem Punkt meines Lebens verstand ich, dass weder die Fragen noch die Antworten ein Problem in unserem Leben darstellten. Viel mehr war es die vielfältige Kontinuität der gebotenen Antworten. Die Unendlichkeit der geeigneten Möglichkeiten in allen Lebenslagen erschreckte mich und brannte den Respekt vor dieser Nachhaltigkeit in meinen suchenden Geist.
Anfangs machte mir diese Erkenntnis schwer zu schaffen. Vor jeder auch so kleinen Entscheidung schossen meine Gedanken wie ein Schwarm wissbegieriger Minidronen in alle nur erdenklichen Richtungen und sammelten systematisch Informationen. Erfahrung, Beobachtung und Planung ließen die organische Rechenmaschine unter meiner Schädeldecke pausenlos kalkulieren und vergleichen. Die ersten Reaktionen meines schmächtigen Körpers auf dieser systematische Anarchie waren Übelkeitsanfälle und des Öfteren ein heftiger Brechreiz, bei dem ich jede der soeben errechneten Möglichkeit stückchenweiße aus meinen Innereien herauskotzte. Die drauf folgenden Kopfschmerzen waren mit nichts zu vergleichen, was ich bis dato kannte. Ich füllte mich wie ein Sportler, der unter einer
übermenschlichen Dauerbelastung seine persönlichen physischen Grenzen überschritt und an einen Punkt gelangte, an dem sein ganzer Körper zu zerreißen drohte. Trotz dieser heftigen Schmerzen, ließ ich mich immer wieder auf diese Gedanken ein und genoss die mich erfüllende Geschäftigkeit.
Je mehr ich mich auf diese Rolle einließ, desto besser verstand ich mit diesem Geschenk umzugehen. Ich lernte mich nicht zu verkrampfen und mein Gehirn während dieser Aktivitäten zu entspannen. Atemübungen waren mir hier eine sehr große Hilfe. Bald vermochte ich meine geistigen Tätigkeiten von denen meines Körpers zu trennen und schloss so die widerlichen Reaktionen meiner sterblichen Hülle auf diesen göttlichen Akt in meinem Geist vollkommen aus. Täglich verbrachte ich etliche Stunde damit mich im "Bad der Möglichkeiten", wie ich diesen Vorgang scherzhaft nannte, zu suhlen. Es fiel mir jedes Mal schwerer in die wirkliche Welt zurück zu kehren und die primitiven motorischen Funktionen meines verhassten Körpers zu übernehmen. Hier kamen mir die ersten Zweifel ob diese alte Welt, wie ich sie kenne, wahrhaftig die Wirkliche war oder kenne ich nun die wahre Realität?
Was dann folgte, kennt man zu genüge aus stereotypen Schilderungen anderer Besessener. Ich kapselte mich vollständig von der Außenwelt ab. Schmiss meinen Job hin und verbannte die wenigen flüchtigen Bekanntschaften aus meiner Erinnerung. Ich schloss mich in der Wohnung ein und ließ meinen Körper gänzlich verkommen. Dem Bedürfnis nach Sauberkeit hatte ich noch nie besonders viel Wert beigemessen. Das Hungergefühl konnte ich schnell kontrollieren und ließ mir nur das Nötigste an Nahrung von einem Pizzalieferdienst vorbeifahren um die zum Denken notwendigen Funktionen am Leben zu erhalten. Wahrscheinlich galt ich bei diesem Lieferdienst schon längst als einer dieser sonderbaren Penner, über die man seine locken Witzchen reißt. Doch ich dachte schon lange nicht mehr über meine Wirkung auf die Anderen nach und scherte mich daher nicht um Etikette. Alles was zählte, war mich meiner privaten Gedankenwelt hinzugeben. Mich dort für immer zu verlieren. So vegetierte ich mehrere Monate vor mich hin.
Eines Abends klingelte es an meiner Tür. Normalerweise ignorierte ich dieses penetrante Geräusch und wollte die Klingel schon vor Wochen abmontieren, doch damit hätte ich die leider lebensnotwendigen Pizzalieferungen ausgeschlossen. Irgendetwas hatte mich diesmal dazu bewogen in die Welt meiner Geburt zurück zu kehren und mich mit verschlafenen Gliedern ungeschickt zur Tür zu bewegen. Ich entriegelte die Wohnungstür, öffnete diese langsam und blinzelte in die undurchdringliche Dunkelheit des Treppenhauses. Erst langsam schälte sich aus der geheimnisvollen Schwärze die grauen Umrisse einer in langen Mantel gekleideten männlichen Gestalt von überdurchschnittlicher Größe. Noch eher ich ein Wort der Unhöflichkeit krächzen konnte, sprach der Unbekannte mit einem tiefen Bariton: "Hier, ich strecke dir meine Hände entgegen. Entscheide dich entweder für die rechte oder die linke Seite. Wähle das mächtige Böse oder das ehrenhafte Gute. Doch wähle mit Bedacht, es sollte deine letzte Entscheidung auf dieser Welt werden."
Normalerweise würde ich bei solchen theatralischen Darbietungen im hysterisches Gelächter ausbrechen, doch ich war schon lange nicht mehr der, der ich mein Leben lang gewesen war. Mag es an meinem offenen Geist oder einfach am Gedanken liegen, dass es möglicherweise doch jemanden auf dieser Welt gab, mit dem ich über meinen Zustand reden könnte. Ich ging dieses Angebot tatsächlich voller Ernst in meinen Gedanken durch. Vergangene Erfahrungen und zukünftigen Möglichkeiten vermischten sich zu einem wirbelnden Tornado und langsam kristallisierte sich schwache Lichtpunkte aus dem undurchsichtigen Phänomen. Erst zaghaft, doch stetig wachsend nahmen die Möglichkeiten Gestalt an und leuchteten in einer der beiden Farben, mit denen ich die Optionen unterschied. Grün für das Gute und Rot für das Böse. Entgegen meiner Annahme, mich eher dem Guten geneigt zu füllen, überwog die Anzahl der roten Sterne eindeutig. Inzwischen lernte ich mich auf meine neuen Kräfte intuitiv zu verlassen, nachträgliche Gefühle nicht zu beachten und aufkeimende Zweifel zu unterdrücken.
"Ich nehme die rechte Hand", sprach ich mit trockenem Mund. Einige Sekunden vergingen, ohne dass mein Gegenüber reagierte. Möglicherweise war dies seine Art mir Zeit zu lassen um meine Entscheidung zu überdenken und bei Bedarf zu korrigieren. Ich war mir meiner Wahl zwar sicher und benötigte diese Zeit nicht, wurde aber trotzdem langsam nervös. Da ich nicht wusste was zu tun war um das Vorgehen zu beschleunigen, griff ich mit meiner Hand in seine Rechte und hoffte so, meinen Standpunkt deutlich gemacht zu haben.
Er lächelte verwegen und nickte bestimmt. "Gute Wahl", waren seine letzten Worte und schon drehte es sich um und ging ins Dunkle der Treppenplattform, wo ich die Stufen nach unten wusste. Ich benötigte einige Augenblicke, bis ich mich ob dieser unerwarteten Reaktion wieder fassen konnte. Dann machte ich einen Satz zum Lichtschalter und sofort brach im ganze Treppenhaus das gleißenden Licht aus. Ich hastete hinter dem Unbekannten her. Übersprang mehrere Stufen auf einmal und war kaum fünf Sekunden später an der Eingangstür. Diese was verschlossen und ich war mir sicher, nicht gehört zu haben wie der Unbekannte diese benutzte. Außer mir, war das Treppenhaus leer.
Zurück in meiner Wohnung, war ich bereit zu glauben, dass diese Person meiner Einbildung entsprang. Fast so, als wäre ich ein phantasievolles aber einsames Kind und dachte mir interessante Freunde aus, die sich um mich kümmerten und mir in schwierigen Situationen beistanden. Doch dann sah ich noch mal an meiner rechten Hand herunter, und bemerkte den kleinen Gegenstand darin. Sofort verflogen alle Zweifel.
. . .