Der Straßenphilosoph

Habt ihr schon mal über die Möglichkeiten nachgedacht? Es gibt so viele Wege zu gehen. An jeder Kreuzung gibt es stets unzählige Richtungen - da ist es einem unmöglich eine Wahl zu treffen. Die Kombinationen sind unendlich und die Folgen nicht abschätzbar. Was ist, wenn wir den falschen Weg wählen? Verschließen sich uns für immer die weiteren Möglichkeiten, die uns zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort zur Verfügung standen? Oder kommen Chancen immer wieder und alles wiederholt sich in regelmäßigen oder unregelmäßigen Zyklen? Was ist, wenn wir nicht das Optimum wählen und uns fortan wichtige Türen bis in alle Ewigkeit verriegelt bleiben. Und wenn die Entscheidung, die wir zu der jeweiligen Zeit und am jeweiligen Ort trafen die richtige war, ist sie am nächsten Tag immer noch die richtige? Oder einen Monat später? Oder ein Jahr später? Was ist richtig angesichts der Unendlichkeit? Was ist falsch angesichts unserer Vergänglichkeit? Fragen dieser Art und die Fülle an Optionen ist deprimierend und höchst demotivierend. Im Prinzip ist es vollkommen egal, was wir täten - alles wäre falsch! Oder wäre alles richtig? Diese Vielfältigkeit gestaltet das Leben der Ahnungslosen reichhaltig, doch das Leben der Eingeweihten und der Fragenden lässt es in der sinnlosen Eintönigkeit verkümmern. Darum sitze ich hier und tue nichts. Ich starre nur vor mich hin. Kümmere mich maximal um die Grundbedürfnisse meines Körpers: Essen, Trinken, Schlafen. Ich denke an nichts. Der Geist selbst erhält keine Nahrung. Er soll in der großen Schwarzen Leere schweben und sich in aller Bescheidenheit an den banalsten Dingen erfreuen.
Und nun lasst mich bitte alleine. Ich bin traurig und möchte dieses Gefühl in seiner ganzen unverfälschten Simplizität auskosten."
Der Straßenphilosoph seufzte schwermütig, rollte sich auf dem kahlen Steinboden wieder zusammen und genoss die selbstauferlegte Limitation seines Leben in vollen Zügen.

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