Die Mahlzeit mit dem Feind
Eigentlich sollte Helmut Geiger ein sehr glücklicher Mensch sein. Er sah gut aus und war in seiner Beruf als Staatsanwalt sehr erfolgreich. Er kannte eine Menge wichtiger Leute und was Frauen anging, da hätte er jede Nacht eine andere haben können oder mehrere auf einmal - was nicht selten vorkam. Er hatte in seinen jungen Jahren mehr erreicht, als die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben erreicht haben würden. Doch eine Sache nagte immer wieder an seinem mächtigen Ego und ließ ihn sein durchaus vollkommenes Glück nicht genießen. Seit seiner Kindergartenzeit hatte er einen Freund im Nachbarhaus. Sie gingen später auch gemeinsam auf Schule, besuchten die gleiche Uni und erhielten sogar beide im selben Anwaltsbüro einen Arbeitsstelle. Soweit, so gut. Doch leider gab es die ganze Zeit hindurch ein Problem. Egal was der Helmut tat, sein Kumpel, Arno Hecht, war immer etwas besser. Ob es um Schulnoten ging, ob es der Beliebtheitsgrad bei Freunden und Kollegen war, ob es die Menge und Qualität der weiblichen Bekanntschaften anging, Arno war einfach immer der eindeutige Sieger. Und trotzdem war er weder hochmütig noch geizig, weder nachtragend, noch neidisch. Er war stets offen und freundlich, höfflich und hilfsbereit. Und vielleicht waren es genau diese Eigenschaften, die ihm seinem Freund gegenüber einen stetigen Vorteil sicherten.Der Helmut dagegen besaß kaum eine dieser Charakterzüge und so sehr er sich bemühte seinem Freund nachzueifern, es gelang ihm nie über einen längeren Zeitraum dieses Schauspiel aufrecht zu erhalten und so viel er immer wieder in seine unliebsamen Gewohnheiten zurück.
Als dann noch während der großzügig angelegten Feierlichkeiten an Helmuts dreißigstem Geburtstag, Arno Helmuts einzige und unerreichbare Liebe kennerlernte, diese kurz darauf heiratete, konnte Helmut seine über Jahrzehnte angestauten Missgunst nicht mehr kontrollieren. Er schwor sich einen Weg zu finden, seinem Freund zu schaden. Je länger er darüber nachdachte, desto extremer wurden seine Ideen. Irgendwann kam er zu einem Punkt, an dem nur der Tod des verhassten Konkurrenten die langersehene Befriedigung zu bringen vermochte. Also nutzte er seine geschäftsbedingte Kontakte um ganz unauffällig nach geeigneten Möglichkeiten zu suchen. Es dauerte nicht lange als im zu Ohren kam, dass es da so ein chinesisches Restaurant gäbe, welches nur als Tarnung für eine sehr erfolgreiche Vereinigung von Auftragskiller dient. Diese Leute erledigen ihre Arbeit absolut zuverlässig und hinterlassen dabei bewiesenermaßen keinerlei Spuren. Die Vergabe von Aufträgen läuft vollkommen anonym. Dabei fallen keine Namen oder sonstige Personalien. Bei erfolgreicher Durchführung des Auftrages musste der Auftraggeber persönlich im Restaurant erscheinen, das Honorar vorbeibringen und zu Abend essen - dies war eine verbindliche Forderung von der Gegenseite. Perfekt, dachte sich Helmut. Genau das war die Möglichkeit, nach der er gesucht hatte.
Wie verlangt setzte er sich noch am selben Tag telefonisch mit dem Restaurant in Verbindung und bestellte Sushi extrascharf auf Arnos Namen. Dann machte er sich zuhause in seinem Lieblingssessel gemütlich, trank dabei genüsslich eine Flasche Wein und träumte von einem Leben ohne seines verhassten Feindes.
Einige Tage später, es war ein herrlicher Mittwoch Morgen im Büro, erreichte ihn die Nachricht über Arnos Verschwinden. Gekonnt heuchelte er nach Außen hin seine Anteilnahme und versprach alles zu tun, um die Suche zu unterstützen. Insgeheim aber holte aber er aus seinem persönlichen Safe den Pauschalbetrag für die Auftragskiller und begab sich am Abend zu den Chinesen.
Scheinbar war es noch zu früh fürs Ausgehen, denn er war der Einzige in dem kleinen schlichten aber gemütlichen Restaurant. Wie es schien, wurde er schon erwartet. Die Bedienung war sehr freundlich und bestand darauf, dass er vor der Geldübergabe noch etwas aß. Natürlich wäre der Preis für das anstehende Mahl in Pauschalhonorar inbegriffen, versicherte ihm die Dame mit Nachdruck.
Er erhielt die umfangreiche Menükarte. Da er kein besonderer Liebhaber vom asiatischen Essen war und sich gezwungenermaßen damit nicht auskannte, bestellte er das Erste, das ihm wenigstens zum Teil bekannt vorkam: Chinesisches Geschnetzeltes. Während er wartete schienen die Kräfte von Feng Shui zu wirken, denn er erspannte sich sichtlich. Kaum zehn Minuten später kam die Bedingung wieder und brachte ihm ein riesiges Tablett mit unzähligen gefüllten Schälchen. Helmut musste schon zugeben, dass das soeben servierte Essen gar nicht so schlecht roch. Nach dem erste Bissen stellte er verwundert fest, dass es auch - sogar für seinen engstirnigen europäischen Geschmacksinn - ausgezeichnet schmeckte. Daher ließ er sich nicht lange bitten und aß solange, bis sein Magen zum Platzen gefüllt war.
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