Das gute Böse
Wie jeden Abend bewegte sich die seltsame Gestalt zielstrebig durch die leeren Straßen der ländlichen Vorortschaften. Die untergehende Sonne tauchte die Gegend in einen unwirklichen orangenen Schein und gab den üppigen Pflanzen und Bäumen ein sanftes Grün. Ein fanatischer Dichter hätte hier von märchenhafter Landschaft und romantischer Atmosphäre gesprochen, doch dieser Gestalt im dunkelgrauen Anzug und dem nüchternen Auftreten eines Handelsreisenden, lag nichts daran sich mit Gefühlregungen jeglicher Art zu befassen. Dadurch war ihr der Weg zur vergleichender Poesie vollkommen verschlossen und es sollte auch so bleiben - für die Ewigkeit.An einem modernen Reihenhäuschen mit der kitschig weißen Umzäunung, schlug sie bedenkenlos das Gartentor auf und betrat uneingeladen einen privaten Bereich. An die acht Meter führte der akkurat gepflasterte Weg durch frischgemähten Rasen und endete vor einer schlichten Eingangstür. Ohne Zögern drückte der fremde Besucher den glänzenden Knopf der Klingel und wartete geduldig - die lederne Aktentasche in der linken Hand.
Es dauerte nicht lange, als im Hausinneren Schritte laut wurden. "Moment, bin schon unterwegs...", schallte es dumpf durch die verschlossene Tür. Augenblicke später hörte man, wie von ihnen her die einseitige Türklinke heruntergedrückt wurde und die Tür schwang sich Naiverweise gänzlich auf. Das verwirrte Gesicht einer gestressten Hausfrau drückte genau die gleiche Irritation aus, die der Besucher auf alle seine Zielsubjekte ausübte. Die Dame blickte in das aufgesetzte Lächeln eines typischen Staubsaugervertreters. Ein akkurat gestutzter Spitzbart umrandete seine strahlendweißen Zähne, die sich ungewöhnt kontrastreich gegen die pechschwarze Haupt- und Gesichtsbehaarung abhoben. Mit seiner angedeuteten altmodischen Verbeugung, machte der moderngekleidete Herr einen widersprüchlichen, dennoch aber einen zeitlos eleganten Eindruck. Vor allem die Damen waren von seinem Erscheinung in der Regel sehr beeindruckt.
"Darf ich einen kurzen Moment Ihrer Zeit stehlen?", säuselte der Gast erfahren.
Die überrumpelte Hausfrau konnte sich ihrer Antwort nur sehr schwer entscheiden. Einerseits hatten schon mehr als genug Handelsreisender vor ihrer Haustür gestanden und waren diese attraktiv genug, durften sie auch das Haus betreten. Und haben diese Handelsvertreter dann noch in einem kurzen Gespräch eine intelligente und geistreiche Art bewiesen, stand einem Besuch im ehelichen Schlafzimmer nichts mehr entgegen. Ihr Mann war berufstechnisch ständig auf Reisen und hatte dort sicherlich genauso viel Spaß wie seine gelangweilte Angetraute zuhause. Das redete sich die vernachlässigte Hausfrau wenigstens ein und normalerweise half dies, das pochende Gewissen zeitweise zu verstummen.
Doch dieser Herr hier, hatte etwas Seltsames an sich. Natürlich hatte er die erste Prüfung mit Bravour gemeistert und ließ die Gedanken der keineswegs prüden Gastgeberin in das Schlafgemach ein Stockwerk höher abschweifen, doch etwas stimmte nicht. Sie zwar fand kein greifbares Problem, aber ein ungutes Gefühl stieg auf und blieb hartnäckig an der Oberfläche haften. Schließlich schrieb sie diese seltsame Empfindung einer inneren Aufregung zu. Das müsse die Vorfreude auf einen fremden Körper sein, dachte sie sich entspannend und winkte den fremden Besucher kokett in das Haus.
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