Das Erbe
George Burton saß alleine in einem Sechser-Abteil eines Schnellzuges nach Berlin und grübelte. Unglaublich, einfach unglaublich, dachte er und schüttelte sicherlich schon zu hundertsten Mal an diesem Tag seinen Kopf. Wie schnell sich der Mensch doch an neue Gegebenheiten anpassen kann. Es kam ihm vor als ob schon Wochen vergangen waren, dabei saß er erst gestern Abend beim Dr. Frank von Weilen, einem sympathischen grauhaarigen Notar im fortgeschrittenen Alter im Büro und hörte eher erstaunt als erfreut dem langatmigen Monolog zu."... Möchten Se das Erbe antreten?", beendete Dr. von Weilen seine gestrigen Ausführungen.
Eine dumme Frage, sinnierte George. Wer würde nein sagen, wenn von einem Boten urplötzlich die Einladung zu einer Testamentsvorlesung überbracht wird und man selbst absolut abgebrannt ist - schlimmer noch: richtiggehend in Geldnöten steckt? Ein entfernter kinderloser Verwandter, ein Onkel mütterlicherseits wäre verstorben und hinterließ seinen nächsten Nachkommen ein riesiges Schloss, samt einem durchaus großzügigen Budget, welches sogar einem Dutzend neureicher, verwöhnter und extrem verschwenderischer Gören ein mehr als angenehmes Leben ermöglichen würde. Doch nicht genug, ein richtiger Adelstitel, der Graf von Irgendwas, befindet sich ebenso im Geschenkpaket Marke Sorgenfrei. Die einzige Bedingungen, man trete das Erbe im Ganzen an.
"Es müssen alle Rechte und Pflichten in Summe wahrgenommen werden. Dies beträfe sowohl die vererbten materiellen Werte, wie auch alles was mit dem entsprechenden Titel des Grafen von Irgendwas einhergeht", war der genaue Wortlaut im Testamentsschreiben.
Was das Vermögen eingeht, sah George keinerlei Probleme diese Forderung zu erfüllen. Doch welche Pflichten waren an den Adelstitel gebunden? Sitze beim Essen gerade? Fluche nicht? Spende den Armen? Bis auf den letzten Punkt sah sich ein George Burton durchaus im Stande die fiktiven Forderungen zu erfüllen. Auch die realen Pflichten würden nicht viel anders sein. Obwohl Dr. von Weilen jahrzehntelanger Anwalt des Verstorbenen gewesen sein sollte, konnte er die von George gestellten Fragen zu diesen ominösen Pflichten - die wohl den obligatorischen Hacken an der ganzen Sache darstellen mussten - nicht beantworten. Informationen dieser Art würde sich außerhalb seines Betätigungsfeldes befinden. Zu gegebener Zeit würde sich ein geeigneter Berater um diese Angelegenheiten kümmern. Dies war alles, war George dem sonderbaren Anwalt zu diesem Thema entlocken konnte. Damit konnte George leben. Er war geduldig. Was ihn mehr beschäftigte war eine weitere Information, die sozusagen "am Rande" erwähnt wurde: "würde er, George Burton das benannte Erbe nicht antreten wollen - oder können, würde ein gewisser Marius Le’Groe der nächste in der Rangfolge der Verwandschaftsansprüche sein. Dieser würde dann das bekannte Angebot unterbreitet bekommen und darf sich ebenso wie George, der Wahl stellen." Wer auch immer dieser Marius auch war, George würde ihm nicht überlassen. Also willigte er ein und begab sich nach Westerheim um sein Erbe in Empfang zu nehmen.
. . .