The Deutsche Wirtschaft needs you!
"ANDI! ANDI!", rief eine geheimnisvolle Stimme aus einer undefinierbaren Richtung. Erst sträubte ich mich mit aller Kraft dagegen, doch nach zwei bis drei Stunden gab ich endlich auf und öffnete meine Augen. Ich wischte den Nachtsabber aus meinen Mundwinkeln und setzte mich im Bett auf. Die Wecker zeigte 03:12 Uhr und draußen war es verständlicherweise noch stockdunkel. Ich sah mich um und versuchte die Quelle des mysteriösen Rufes zu orten. Mein erster Verdacht viel auf die Sonja, die friedlich neben mir schlummerte. Doch egal wie sehr ich versuchte aus ihrem Schnarchen meinen Namen rauszuhören, es gelang mir einfach nicht. Nein, die Stimme musste eines anderen Ursprungs sein. Ich horchte angestrengt hin, doch nichts außergewöhnliches drang zu meinen Ohren durch.
Plötzlich hörte ich ganz schwach eine gedämpfte Stimme: "Alter, ich glaube er ist wach." Daraufhin erklang ein dumpfes Geräusch - so, als ob irgendjemand seinen Kopf an einem Holzelement angestoßen hatte - und eine verschlafene zweite Stimme stieß erst einen schmerzbedingten Fluch aus und fragte dann verärgert: "Hä?!"
"Ich glaube der Auserwählte ist wach", lieferte die erste Stimme eine bedeutungsvolle Erklärung. Und fügte nach einer kurzen Pause pflichtbewusst "Alter" hinzu.
Während dieses kurzen Dialoges stellte ich geistesgegenwärtig die Herkunft der Stimmen fest, ergriff mein Schlafkissen und schlich mich - das Kissen wie einen Nunchaku lautlos um meinen Körper schwingend - in Richtung des Kleiderschrankes. Dort angekommen, sammelte ich meine ganzen Mut und streckte die linke Hand aus, bereit mit einem plötzlichen Rück die Tür aufzureisen.
"Eh, Alter. Ich glaube er steht vor der Tür!", hörte ich erneut die erste Stimme.
"Wer?", frage die zweite Stimme etwas schwerfällig. Doch bevor die erste Stimme Zeit hatte zu antworten, nutzte ich den winzigen Rest des schwachen Überraschungsmomentes aus und riss mit einem brüllenden Kampfgeschrei die Schranktür auf.
"Huch!", schrieen die beiden Gestalten im Schrank unisono, erschrocken von meiner wilden Erscheinung.
"Huch!", schrie ich, vor Überraschung, als ich zwei komisch-sonderbare Typen auf dem Schrankboden sitzen sah. Der eine war dürr und hatte lange blonde Haare, die in fettigen dünnen Strähnen von seinem länglichen Kopf herabhingen. Der andere war von einer wohlbeleibten Statur und wirkte mit seiner Halbglatze und der dicken Hornbrille im runden Gesicht besonders angstuneinflössend.
"Wer seid ihr!", fragte ich mit der strengen Stimme desjenigen, der den Titel "Burgherr in seinen eigenen Gemäuern" für sich beanspruchen durfte. Um meine Position zu unterstreichen, schwang ich erneut das Kissen - diesmal wie einen Morgenstern.
"Nicht schlagen!", winselte der Dicke.
"Wir sind die PROGRAMMIERER", wimmerte der Dünne.
"Programmierer?!", fragte ich ungläubig.
"Ja, PROGRAMMIERER!", wiederholten die beiden im Chor, diesmal mit festeren Stimmen.
"Und was sucht ihr in meinem Schrank", fragte ich ohne mich beirren zu lassen.
"Wir sind hier, um den Auserwählten zu holen!", erwiderte der Dünne und hob - soweit es ihm in seiner zusammengesunkenen Haltung möglich war - voller Stolz den Kopf.
"Aha?!", meinte ich skeptisch, schaute mich theatralisch um, trat von der Tür weg und fragte indem ich meine Hand über die ganze Breite des Zimmers gleiten ließ: "Und wo ist der Auserwählte?"
Die beiden sahen sich fragend an und der Dünne antwortete mit einem Zittern der Unsicherheit in der hohen Stimme: "D... Du, bist d..., der Auserwählte..."
"Oookay Jungs", meinte ich gönnerhaft: "Genug gespielt. Husch, husch aus dem Schränkchen und ab zu Mama."
Erstaunt über meine Reaktion, folgten sie widerstandslos meiner Anweisung und stiegen aus dem Schrank. Während sie wirres Zeugs brabbelten, schob ich das sonderbare Paar durch die ganze Wohnung.
Als ich die Eingangstür geöffnet und die beiden auf den Treppenabsatz bugsiert hatte, wollte ich die Tür wieder schließen. Doch da steckte der Dünne seinen eierförmigen Kopf durch den übriggebliebenen Spalt und rief in seiner Verzweiflung: "Aber, wir brauchen dich doch! Bitte, du musst uns helfen! Du bist der Auserwählte! Die deutsche Wirtschaft braucht..."
Doch da knallte ich schon das Kissen gegen seinen Kopf. Dieser flutschte durch den Türspalt - die Segelohren verursachten dabei ein kratzendes Geräusch am Türrahmen. Daraufhin knallte ich die Tür zu und drehte den Schlüssel im Schloss zweifach um.
Als ich im Schlafzimmer ankam, schnarchte die Sonja immer noch ungerührt vor sich hin. Ich legte mich ins Bett und schlief ein.
Am nächsten Morgen wachte ich auf und war mir gar nicht so sicher ob die nächtlichen Geschehnisse nur ein Traum oder wirklich real waren. Doch beim Frühstück öffnete ich meine Onlinezeitung und sah auf der Titelseite die fette Überschrift: Deutschland fehlen 20000 IT-Fachkräfte!!!
Ohh, dachte ich mir.
Hmm, dachte ich weiter.
Ahh, kam ich zum Denkschluss und ging zur Arbeit.
Am selben Tag klopfte ich bei meinen Chefs und verkündete mein baldiges Ausscheiden aus dem Unternehmen.
Dies alles ereignete sich vor zirka zehn Wochen. Am 3. Juli fange ich mit meinem neuen Job an und dann wird es sich herausstellen ob ein Marketing-Mensch als Programmierer in der Welt der Anwendungsentwicklung klar kommen wird...