Ein ganz normaler Tag in der schönen neuen Welt

Ich wache auf weil der Wecker mich mit sanften Melodien (Wasserrauschen und Vogelgezwitscher) liebevoll aus dem Schlaf lockt. Dank dem „Sleep-Tracker“ an meinem Fußgelenk wurden die Schlafphasen korrekt erfasst - ich durfte meine Tiefschlafphase bis zur letzten Sekunde auskosten und stehe optimal ausgeruht auf. Wenigstens in der Theorie, praktisch fühle ich schon etwas schlapp, aber das muss wohl Einbildung sein, sonst hätte die „Health-App“ bereits reagiert und meinen täglichen Vitamin-Cocktail korrigiert.

Auf dem Weg zur Dusche registriert die Wohnung meine Anwesenheit und dimmt pro durchquerten Raum die Nachbeleuchtung und fährt die Jalousien hoch. Einen Augenblick lang durchflutet gleisendes Sonnenlicht die Räume, bis sich die thermochromen Fensterscheiben entsprechend der Sonneneinstrahlung verdunkeln und das Innere erneut ins nachtähnliche Zwielicht tauchen.

Geduscht wird wie immer mit Dampf. Alle modernen Duschen entsprechen dem neuen ISO-Standard, welches laufendes Wasser als Sparmaßnahme vollkommen unterbindet. Dampf ist ebenfalls gut für mein Immunsystem, praktischer Weise kann ich ätherische Öle nach Belieben hinzuklicken und bin bestmöglich auf den kommenden Tag vorbereitet.

Trotz Außentemperaturen von Minus-Zehn-Grad, ist mein Auto in der öffentlichen Parklücke wunderbar warm und vollständig frei von Eis. Der „Sleep-Tracker“ hat bereits bei meinem Aufwachen das Signal an die Standheizung gesendet. Beim Näherkommen öffnet sich die Tür automatisch und ich steige ein. „Einen wunderschönen Guten Morgen“ begrüßt mich Heidi - meine persönlich digitale Assistentin – fröhlich über die Autolautsprechen. Ich gähne und notiere mir im Gedanken, endlich mal den Avatar zu wechseln. Diese überschwängliche und stets gutgelaunte Heidi passt so gar nicht zu meinem, morgendlichen Gemütszustand. Ehrlich gesagt, nervt sie gehörig. Diesen Gedanken unterdrücke ich jedoch sofort. Immer schön nett sein und „Political“ korrekt – auch bei digitalen Entitäten.

Ich lehne mich zurück und verschränke die Hände hinter dem Kopf. Das Elektroauto startet leicht surrend und reiht sich autonom in den geregelten Verkehr ein. Bei der aktuellen Verkehrslage ist die voraussichtliche Ankunftszeit im Büro: 32 Minuten und 17 Sekunden. Fast wünsche ich mir eine kleine Verkehrsbehinderung herbei, damit ich auf dem Weg zur Arbeit noch etwas länger dösen kann.

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