Interrail 2001

Hier mein Interrail 2001-Tagebuch. Ich habe kaum Korrekturen durchgeführt. Wenn ihr also Rechtschreib- oder Satzbaufehler findet, habt bitte Nachsicht, es wurde alles schnell und zum Teil an wirklich unschreibwürdigen Orten geschrieben... Smiley

Interrail Karte

Inhalt
- Fotogalerie
- Fahrplan
- Vorwort
- 2001-06-08: Teure Döner und scharfe Bräute
- 2001-06-09: Die Welt ist kalt und ungemütlich
- 2001-06-10: Zurück zur Mama
- 2001-06-12: Auf ein Neues
- 2001-06-14: Venedig und ein weiter Weg
- 2001-06-15: Etwas Ruhe
- 2001-06-16: Wo geht es hier zum Hafen?
- 2001-06-18: Déjà-vu
- 2001-06-19: Die vier Musketiere
- 2001-06-20: Willkommen im Gruselkabinett
- 2001-06-21: Türkisch für Anfänger
- 2001-06-22: Shopping in Istanbul
- 2001-06-23: Die Zwei-Klassen-Gesellschaft
- 2001-06-24: Der große Denker
- 2001-06-25: Mr. Kanada und Ms. Schweden
- 2001-06-26: Schneller Aufbruch
- 2001-06-27: Der schiefe Turm geht heimwärts


Fahrplan [top]

2001-06-08, 12:37: Würzburg - Stuttgart
2001-06-08, 16:18: Stuttgart - Singen
2001-06-08, 18:52: Singen - Zürich
2001-06-08, 22:07: Zürich - Roma
2001-06-09, 14:15: Roma - Napoli
2001-06-09, 18:06: Napoli - Formia
2001-06-09, 22:00: Formia - Milano
2001-06-10, 09:10: Milano - München
2001-06-10, 17:07: München - Augsburg
2001-06-10, 18:27: Augsburg - Treuchtingen
2001-06-10, 19:25: Treuchtlingen - Würzburg
2001-06-12, 17:44: Würzburg - Nürnberg
2001-06-12, 19:38: Nürnberg - München
2001-06-12, 23:40: München - Verona
2001-06-13, 06:40: Verona - Vicenza
2001-06-13, 08:10: Vicenza - Venezia
2001-06-13, 12:07: Venezia - Bologna
2001-06-13, 15:40: Bologna - Cattolika
2001-06-13, 18:22: Cattolika - Ancona
2001-06-13, 19:52: Ancona - St. Benedetto
2001-06-13, 21:11: St. Benedetto - Pescara
2001-06-14, 05:06: Pescara - Civitanova
2001-06-14, 07:11: Civitanova - Pescara
2001-06-14, 09:36: Pescara - Roma
2001-06-14, 17:06: Roma - Lecce
2001-06-15, 05:05: Lecce - Brindisi
2001-06-18, 19:30: Brindisi - Patras
2001-06-19, 16:30: Patras - Athen
2001-06-19, 23:55: Athen - Thessaloniki
2001-06-20, 08:25: Thessaloniki - Pithion
2001-06-21, 16:40: Pithion - Istanbul
2001-06-23, 08:30: Istanbul - Pithion
2001-06-23, 20:36: Pithion - Athen
2001-06-24, 22:19: Athen - Patras
2001-06-25, 20:00: Patras - Brindisi
2001-06-26, 10:54: Brindisi - Roma
2001-06-26, 18:04: Roma - Pisa
2001-06-27, 04:13: Pisa - Florenz
2001-06-27, 10:05: Florenz - München
2001-06-27, 18:38: München - Treuchtingen
2001-06-27, 20:25: Treuchtlingen - Würzburg


Vorwort [top]

Ich wollte schon immer eine Rucksacktour durch fremde Länder machen, hatte aber bis zu diesem Punkt in meinem Leben noch keine Zeit gefunden dies zu tun. Entweder drückte ich die Schulbank oder arbeitete. Da ich mich beruflich ändern wollte, bewarb ich mich anfangs 2001 an der Schule für staatlich geprüfte Wirtschaftsinformatiker und bekam eine Zusage. Im September sollte es losgehen. Dies bedeutete zwei Jahre Schule und dann erneut einen Job suchen um wieder jahrelang zu arbeiten.
Erst hatte ich vor bis Ende August bei meinem damaligen Arbeitgeber zu bleiben, doch im April dachte ich mir dann: So jung wie ich heute bin, werde ich wohl nie wieder sein und ging zu meinem damaligen Chef. Ich fragte ihn ob es in Ordnung wäre, wenn ich schon zum Juni kündigen würde; er hatte nichts dagegen. Und so lieferte ich mein Kündigungsschreiben ab, begab mich zum Bahnhof und holte mir ganz spontan ein Interrailticket. Zwar würde ich die nächsten drei Monate kein Geld verdienen, doch aber hoffentlich einige Abenteuer erleben...


2001-06-08: Teure Döner und scharfe Bräute [top]

Über Stuttgart und Singen kam ich endlich nach Zürich. Nun hing ich am Hauptbahnhof herum und sah mir ein Volleyballspiel inmitten der Bahnhofshalle an. Dort wurde Sand aufgeschüttet und Sitzgelegenheiten aufgestellt. Dies war mal eine ganz neue Art diesen Sport zu erleben.
Danach habe ich mir ein wenig die Stadt rund um den Bahnhof angesehen und in einer Wechselstube Schweizer Franken geholt. Ich erhielt für 20 DM 15 SF abzüglich 2 SF für die Bearbeitung, machte genau 13 SF Restgeld. Nachdem ich mir für 8,50 SF einen Döner geholt hatte, stellte ich fest, dass dies wohl der teuerste Döner meines bisherigen Lebens war!
Von der Auskunft erfuhr ich, dass der Zug mit dem ich nach Italien fahren wollte nur außerplanmäßig in Milano (Mailand) halten würde und ich mich am besten, während der Fahrt, an den Schaffner wenden sollte, falls ich weitere Fragen hätte.
Es war verdammt kalt in Zürich und es regnete in Strömen. Unter diesen Umständen hätte ich gleich in Deutschland bleiben können. (Vermerk: Ich sollte an dieser Stelle meiner Ma für die Regenjacke danken, die sie mir aufgedrängt hatte; sonst wäre ich hier vollkommen verloren.)

Nun begannen die Probleme: wo bekäme ich billiges Essen her, wo würde ich meine Klamotten waschen können, wo sollte ich duschen...? Schlafen, hatte ich mir vorgenommen, würde ich - um Geld und Zeit zu sparen - in den Zügen. Leider hatte ich mir keinen Wecker zugelegt. (Vermerk: Ein Wecker ist ganz wichtig bei Zugreisen.)
Langsam wurde mir bewusst, dass ich mich schon wieder, ohne richtig Gedanken gemacht zu haben, in Etwas gestürzt hatte. In der Schweiz verlief alles noch ohne größere Hindernisse - obwohl ich hier schon meine Probleme hatte die Menschen zu verstehen. Wie würde es dann erst in Italien oder Griechenland werden? Da ich kein Wort der beiden Sprachen kannte und mein Englisch auch nicht gerade das Beste war, sollte ich mich auf einige Schwierigkeiten gefasst machen.

Doch etwas tröstete mich über das schlechte Wetter und die bevorstehenden Probleme hinweg: Die Schweizer Damenwelt war eine absolute Augenweide! Obwohl ich bewusst gesucht hatte, fand ich während meines kurzen Aufenthalts in Zürich kein Mädel, bei der man(n) keine Stielaugen bekommen hätte. Alle hatten super Figuren und sahen auch sonst ganz schön lecker aus. Liebe Schweizer/-innen, ich komme bestimmt wieder.


2001-06-09: Die Welt ist kalt und ungemütlich [top]

Mama mia, war das ein Tag! Auf dem Weg nach Mailand war ich erst im falschen Zugteil gesessen. Dank meiner zufälligen Nachfrage, habe ich vom Schaffner erfahren, dass der hintere Teil kurz nach der Grenze abgekoppelt werden und in eine andere Richtung fahren würde. Daher begab ich mich schnellstens in den vorderen Teil des Zuges. Leider gab es hier nur noch Stehplätze auf dem Gang.
Eine Stunde später bekam ich dann doch noch einen Platz in einer Sechserkabine. Dort waren wir nur zu dritt, was die Fahrt deutlich angenehmer machte. Die beiden Anderen -eine Typ und seine Schwester- kamen aus den USA; leider habe ich die Namen vergessen. Da die Beiden verpasst hatten, vom vorderen in den hinteren Teil des Zuges zu wechseln, welcher ihre Wunschrichtung einschlug, mussten sie bis Bologne fahren, um dort in Richtung Venezia umzusteigen. Gut zu wissen, dass ich nicht der einzige war, der mit dem verwirrenden System der Bahn nicht klar kam.

Da es bei meiner Ankunft in Mailand noch recht dunkel war, beschloss ich weiter nach Rom zu fahren. Außerdem dachte ich mir, dass es dort wohl etwas wärmer sein würde als in Mailand bei Nacht.

Ich hatte recht. Ungefähr um 04:00 Uhr ging die Sonne auf. Inzwischen hatte ich zwei neue Mitfahrer, zwei Italiener zwischen 40 und 45.
Gegen 9 Uhr kamen wir in Rom an. Ich bekam an der Bahnhofsinfo eine Karte der Stadt, wo alle wichtigen Sehenswürdigkeiten eingezeichnet waren. Dann machte ich mich zum Kolosseum auf.

Nach kleineren Orientierungsschwierigkeiten hatte ich den Bogen bald raus: Ich folgte einer spanischen Touristengruppe und war prompt am Kolosseum. 10 DM ärmer und eine 100 Meter Warteschlange später, war ich im Kolosseum. Fazit: nicht so begeisternd. Ich hatte mir alles viel größer und imposanter vorgestellt.
Danach wollte ich weiter zum Forum Romanum, doch dort wurden 12 DM Eintritt verlangt! Nein danke, dachte ich mir - bin ja nur ein armer Rucksacktourist. Ich habe mir in einer Seitengasse eine Kleinigkeit zu Essen geholt und das Forum Romanum im Spazierschritt umrundet. Weil es direkt auf dem Weg lag, machte ich noch einen kurzen Abstecher zum Circus Maximus.
Danach sah ich mir noch die Spanische Treppe und einige weitere Gebäude an. Den ganzen Weg hindurch, musste ich mich unzähliger aufdringlicher Straßenhändlern erwehrt.

Was mir in Rom aufgefallen ist: die Auto- und Rollerfahrer hier sind die rücksichtslosesten Fahrer überhaupt. Sind die Ampeln rot, beachten dies die meisten Fahrer gar nicht. Linien und Abgrenzungen auf der Straße werden schon gar nicht eingehalten. Und wenn du nicht schnell genug über den Zebrastreifen kommst, wirst du einfach überfahren.

Fürs Erste hatte ich genug von Rom und bin wieder zum Bahnhof gelaufen. Auf dem Rückweg der Reise werde ich mir die Stadt mal genauer ansehen, dachte ich mir. Zwischendurch hatte ich meine Eltern angerufen - der verlorene Sohn meldet sich - und bin um 14:00 Uhr mit dem Zug nach Neapel gefahren.

Auf dem Weg dorthin habe ich eine nette Italienerin kennen gelernt. Sie stieg aber schon in Formia aus. Apropos Formia, die Stadt hatte eine einmalige Lage: Der Bahnhof lag auf einer Anhöhe, darunter die malerische Stadt und darunter das glitzernde Meer. Darüber nur hohe Berge und der blaue Himmel. Ein wirklich schöner Anblick.
Ich hatte bei dem Mädel von vorhin gefragt, ob Neapel einen Strand hatte. Dies wurde bejaht. Ich hatte mich schon zwei Tage lang nicht gewaschen, die schweißtreibende Reise und das staubige Roma mussten endlich ab. Und am besten geht so was im kristallklarem Wasser an einem malerischen goldenen Strand.

Stinkend wie eine ganze Schweinefarm, kam ich in Neapel an. Noch nie hatte ich eine Stadt gesehen in der so viele vergammelte Slumhäuser gleich an modernsten Wolkenkratzern grenzten.
Ich habe vom Bahnhof gleich die Hauptstraße in Richtung Stadtmitte genommen. Diese war überfüllt an Leuten. Am Straßenrand reihte sich, soweit das Auge sehen konnte, ein Straßenhändler nach dem anderen. Hier waren die Händler viel aufdringlicher als in Rom und die Kfz-Fahrer noch um ein vielfaches schlimmer: man hatte nicht mal den Hauch einer Chance einen Zebrastreifen zu betreten.
Unzählige angepriesenen Playstationspiele (2 DM das Stück), Sonnenbrille, Handys und Videokameras später, hatte ich genug von der lauten Stadt. Und meine Lust nach einem Strand zu suchen war auch dahin. Ich beschloss zurück nach Formia zu fahren, um dort meine verlorene Sauberkeit zu suchen.

Im Zug hatte ich dann mein Hemd gewechselt- das alte wurde langsam zur Zumutung- und kam gegen 20:00 Uhr in Formia an. Ich lief durch die Stadt herunter zum Meer und fluchte: kein Sand, kein Badestrand, nur haufenweise Steine, Müll und ein Hafen voller grauer alter Schiffe. Na toll!
Langsam wurde es dunkel. Ich suchte mir einen abgelegenen Platz am steinigen Ufer im Schilf und opferte mein letztes Wasser für eine Hühnerbrühe über dem Gaskocher. Während die Suppe köchelte, kaute ich auf einem trockenen Teebeutel herum und bedachte meine Situation. Ich hatte eindeutig zu viele Sachen mitgenommen, die ich auf dieser Reise gar nicht benötigte. Hier kam mir die Idee vielleicht mal "kurz" heim zu tuckern und das Campingzeug, Fertigkochbeutel, sowie den Schlafsack dort zu lassen. Ich wollte mich endlich duschen und meine Klamotten waschen... Schon gut, ich gebe ja zu, dass es sich hier nicht nach einem heldenhaften Abenteurer anhört, aber ich musste meiner Mama Bescheid geben, dass es mir gut ging und so.
Ich hatte also mein Lager abgebaut, was gar nicht so schnell ging wie es sich vielleicht anhörte - ich brauchte bestimmt alleine 30 Minuten um meinen Kochtopf voller glitschigem Päckchen-Hühnersuppe-Fett in dem stinkendem Meerwasser mit Hilfe von Sand blank zu scheuern. Also doch kein Baden und Schlafen am Bacardi-Strand. Es wurde kälter und dunkler. Minimal entmutigt begab ich mich zum Bahnhof.

Inzwischen war die Stadt voller Leben. Jugendliche auf Rollern und Erwachsene Hand in Hand. Komischerweise hatte keiner der Italiener eine kurze Hose an. Alle waren gestriegelt und geschniegelt. Ich stach mit meiner, sagen wir mal, alternativen Bekleidung natürlich ganz besonders hervor. Überall wo ich durchkam, war ich der Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit. Mein verdreckter olivfarbener Rucksack mit drangebundenen Schuhen und klapperndem Geschirr waren natürlich keine großen Hilfen bei meinem Wunsch nach Unauffälligkeit.
Bald hatte ich mich verlaufen. Nach einer endlosen Stunde des Suchens und Fragens fand ich endlich den Bahnhof. Der Zug kam mit Verspätung. Ich stieg ein und fuhr zurück. Zuerst nach Mailand, um dann den nächstbesten Zug direkt in die Heimat zu nehmen. Diesmal hatte ich sogar ein Sechserabteil für mich ganz alleine.
Einige Male fiel das Licht im Zug aus, so dass der Schaffner Schwierigkeiten hatte die Fahrkarten zu kontrollieren. Was ja aber nicht mein Problem war, denn ich streckte mich auf einer 3er-Sitzreihe aus und schlief ein.


2001-06-10: Zurück zur Mama [top]

[. . .]
Diesmal beschloss ich mir Mailand genauer anzuschauen. Bescheidenes, trübes Morgenwetter und eine menschenleere Stadt erwarten mich. Natürlich lag es mit höchster Wahrscheinlichkeit daran, dass es knapp 07:00 Uhr frühs war. Ich trieb mich verloren in den grauen Straßen herum, schaute mir die überteuerten Schaufensterauslagen an und kehrte dann zum Bahnhof zurück; um zwei weitere Stunden auf den Zug nach München zu warten.

In diesem Zug - nebenbei bemerkt, wurde mir ein Zuschlag von 15000 Lire abgeknöpft - habe ich Sandra kennen gelernt. Sie kam aus Brasilien, wohnte seit drei Monaten in München und falls sie nach einem Jahr Deutschlandaufenthalt gut Deutsch sprechen würde, würde sie ihr Visum verlängert bekommen und dürfte hier Jura studieren. Die letzten Wochen hatte sie ihre Tanten in der Nähe von Mailand besucht und fuhr nun nach München zurück. Leider konnte sie nur italienisch, portugiesisch und noch sehr wenig deutsch. Doch für drei Monate Aufenthalt in Deutschland war dieses Wissen ziemlich gut und reichte für eine kurzweilige Unterhaltung vollkommen aus. Sie erzählte mir, dass ihr Vater ein reicher Grundbesitzer in Brasilien wäre. Er hatte drei Töchter. Anscheinend war es in dem Land üblich die Töchter von Reichen zu kidnappen und Lösegeld zu erpressen. Auch in Sandras Familie gab es schon solche Fälle. Aus diesem Grund hat ihr Vater sie und ihre kleinere Schwester nach Deutschland geschickt, wo sie vor diesen Verbrechen sicher sein würden. Sandra war wirklich nett und sah gar nicht mal schlecht aus. Wir sprachen stundenlang und tauschten anschließend unsere Emailadressen aus. Nun schlief sie und wir waren alleine in dem Sechserabteil.
Was gäbe ich nicht alles für eine Dusche, so konnte ich mich ihr auf keinen Fall unter zwei Meter nähern.

Auf dem Münchener Hauptbahnhof hatte ich dann auch Sandras Schwester gesehen. Sie hatte angeblich mal für Bravo Girl als Model gearbeitet. Schaute für ihre 17 Jahre wirklich nicht schlecht aus.

Es ging weiter auf dem Heimweg. Zwischen Treuchtlingen und Würzburg habe ich eine 20jährige Psychologiestudentin aus Würzburg kennen gelernt. Nachdem ich eine halbe Stunde lang beobachtet hatte, wie sie mit ihrem eifrigen Idealismus einer älteren Dame Lebensweisheiten vermitteln wollte, habe ich sie ausgelacht und als naiv bezeichnet. Darauf hin gab es eine hitzige philosophische Diskussion zwischen uns beiden, zeitweise mischten auch andere Passagiere in unserem Zugabteil mit.
Am Ende des Gespräches wurde zwar keiner bekehrt, doch ich denke von meinem Buh-Mann-Image habe ich mich wieder losgeredet, denn bei der Ankunft trennten wir uns im Guten. Ich überlegte mir ihre Telefonnummer geben zu lassen, und hätte diese auch garantiert bekommen, doch ich fand unser Humor und unsere Weltanschauungen passten überhaupt nicht zusammen. Und auf eine Kompatibilität dieser beider Punkte legte ich besonders viel Wert.

Um 21:15 holten mich meine Eltern am Bahnhof ab. Sie haben vor Freude, dass ich wieder da war, fast Luftsprünge gemacht. War ein echt gutes Gefühl so willkommen zu sein. Ehrlich gesagt, habe ich sie auch richtig vermisst. Am selben Abend hatte ich Ihnen meine bisherigen Erlebnisse erzählt, bestimmte Themen habe ich natürlich ausgelassen, dafür aber gleich meine beiden besten Freunde telefonisch damit "erfreut".


2001-06-12: Auf ein Neues [top]

Nun ging es mit neugepacktem Rucksack und neuer Verpflegung wieder in Richtung Italien. Schauen wir mal was diesmal auf mich zukommt, dachte ich mir.


2001-06-14: Venedig und ein weiter Weg [top]

Ich war wieder stundenlang mit dem Zug unterwegs gewesen. Gegen 06:00 Uhr kam ich in Verona an. Während der Fahrt hatte ich ein Mädchen aus Deutschland kennen gelernt. Ihre Freundin verbrachte den Urlaub mit ihrem dem Opa in Verona und lud sie zu einem Besuch ein. Aus diesem Grund ließ sie sich kurzfristig Urlaub geben und begab sich nach Verona. Wir verabschiedeten uns am Bahnhof. Ich ging in die Stadt, während sie am Bahnhof auf ihre Gastgeber wartete.
Verona war ganz nett. Ich hatte von dem Mädel erfahren, dass Verona eine Art Freilichttheater als Sehenswürdigkeit hatte. Da ich aber nicht genau wusste, wo ich mit der Suche beginnen sollte, griff ich zu der altbewährten Methode und folgte einem Pärchen, das mit Rucksäcken ausgerüstet war. Und siehe da, sie haben mich direkt zu einer kollosseumartigen Ruine geführt. Nach dem ich mir diese angesehen und einige Fotos gemacht hatte, entdeckte ich eine Straße weiter das Hotel "Julia und Romeo". Dann beschloss ich, dass dieser Besuch in Verona vollkommen reiche, um einen Hacken auf der Landkarte machen zu dürfen und begab mich wieder zum Bahnhof.

Weiter ging es nach Vicenza. Eigentlich dachte ich erst, Vicenza stünde für Venedig auf italienisch. Doch als ich die halbe Stadt nach dem Meer abgesucht hatte und nur ein kleines, träges Flüsschen fand, beschloss ich nach all den Mühen, dass dies nun auf keinen Fall Venedig sein konnte. Dann sah ich nochmals auf meine Karte und fand Venedig - Venezia - etwas weiter im Westen. Also ging die Reise weiter.

Venedig hatte alle meine Erwartungen übertroffen. Ich bin heute noch total begeistert. Wenn ich mal auswandern werde, dann nach Venedig. Enge, verschlungene Gassen, keine Autos, dafür aber tausende Motorboote und Schiffe auf den Wasserstraßen. So wie bei uns die Autos vor dem Haus parken, parken dort Boote vor den Haupt- und Hinterausgängen. Unzählige kleine Brücken durchziehen die Stadt. Die Häuser drängen sich mehrstöckig aneinander, und alles ist so geheimnisvoll verwinkelt. Wo viel Sonne ist, da ist natürlich auch viel Schatten. In Venedig ist der faulige Gestank des abgestandenen Wassers eindeutig das Problem. Bestimmt gewöhnt man sich mit der Zeit an diesen Toter-Fisch-in-der-Sonne-Mief, aber beim ersten Besuch ist dieser doch sehr störend.

Wer ein Souvenir in Venedig kaufen möchte, sollte auf jeden Fall Preise vergleichen. Ich hatte für ein gleiches Flakon bei den verschiedenen Händlern Preisunterschiede von bis zu 300 Prozent entdeckt.

Dann fuhr ich weiter nach Bologne. Bologne ist eine öde und triste Stadt. Immerhin wurde ich, sobald ich denn Bahnhof verlassen hatte, von einem Typen angesprochen. Dieser fragte mich erst nach einer Zigarette. Als ich meinte, ich wäre Nichtraucher, bot er mir eine riesige Palette an Drogen an: Heroin, Haschisch, Pillen - er hatte alles was das Herz begehrte im Angebot. Aber ich bin ja brav und lehnte diese Schätze dankend ab.

Dann entschied ich mich dafür, mich Stück für Stück in Richtung Brindisi vorzuarbeiten und Florenz, Genua, sowie Pisa auf der Rückfahrt zu besuchen. In Brindisi sollte es Fähren nach Griechenland geben. Deshalb fuhr ich erst mal dorthin. Und dann sollte vielleicht die Türkei folgen.

Als ich mit dem Zug nach San Benedetto gekommen war, hieß es erstmal stopp. Es gab keine Regionalzüge mehr nach 21:00 Uhr. Ich hätte kotzen können, weil ich die gesamte Nacht hier verbringen musste.
Ich habe mir derweil ein wenig die Stadt angeschaut. Danach wollte ich zu Hause anrufen, fand aber weit und breit kein einziges Münztelefon. Anschließend holte ich mir eine Telefonkarte im Wert von 5000 Lire aus dem Automaten, konnte diese aber nicht benutzen. Egal wie herum ich die Karte drehte, das Mistding wollte einfach nicht funktionieren. Später erfuhr ich, dass man erst eine Ecke an der Karte abbrechen musste, um diese dann in den Automaten schieben und telefonieren zu können. Tja, wer italienisch kann, ist hier klar im Vorteil.

Wieder am Bahnhof angekommen, hatte ich mir überlegt, vielleicht doch mit dem Express zu fahren; den Zuschlag würde ich dann beim Kontrolleur löhnen. Zum Glück war die ganze Fahrt nach Pescara keiner aufgetaucht. Also schwarz gefahren und Geld gespart!
Dafür wurde ich aber auch gleich wieder bestraft: In Pescara gab es nun überhaupt keine Züge mehr, die mich weitergebracht hätten. Erst ab 05:00 Uhr würde der Nächste wieder fahren. Nun hieß es sechs Stunden herumzubringen. Schlafen stand nicht zur Debatte. Haufenweise verdächtige Gestalten befanden sich um mich herum, darunter Verbrecher, Betrüger, Schläger, Penner und Säufer- all diese waren am Bahnhof vertreten. Es gab nur wenige Sitzgelegenheiten. Zudem wurde es kalt und die verdammte Zeit wollte einfach nicht vergehen. Ich war richtig müde, doch einschlafen wollte ich hier ganz bestimmt nicht. Um mich wach zu halten, geisterte ich durch die Stadtmitte und staunte über die genialen Klamotten in den Schaufenstern und natürlich auch über deren Preise. Wieder am Bahnhof angekommen, wurde ich andauernd von Pennern und anderen fiesen Typen angequatscht. Im Verlauf der Nacht hatte ich bestimmt hundert Mal meinen Platz gewechselt. Zum Schluss saß ich in einer Ecke und nähte meine Landesaufnäher auf den Rücksack.

Endlich kam der Morgen. Ich bin zurück nach Ancora gegurkt und wollte einen schönen und chilligen Tag am Strand verbringen. Als ich ankam, sah ich soweit das Auge reichte nur Privatstrände. Also bin ich schnell am kleinen Bahnhof in die Toilette und habe mich am schmierigen Waschbecken notdürftig gewaschen, rasiert und fuhr wieder nach Pescara.
Dort erfuhr ich, dass um 13:15 Uhr ein Express nach Brindisi gehe, hatte aber echt keine Lust Geld für den Express zu löhnen und versuchte es deshalb lieber in Rom.
In Rom kam die gleiche Geschichte auf mich zu. Auch hier führte nur ein Express nach Brindisi, doch erst um 17:06 Uhr. Ich nahm diesen und sollte zirka gegen 23:00 Uhr an meinem Zielort ankommen.

Bei Benevento hatte ich zwei Drittel des Weges hinter mir. Das Wetter war echt beschissen. Graue Wolken verdunkelten den Himmel, es regnete heftig und beim Abfahren aus Benevento wurden wir von Blitzen und Donnergrollen verabschiedet. Vielleicht war ich auf meiner Reise irgendwo falsch abgebogen und befand mich inzwischen inmitten von Transsilvanien. Echt gruselig. Hier war das Gefühl "allein zu sein" unerträglich. Weit weg von dem Bekanntenkreis, ohne Kompass und einem richtigen Ziel, wünschte ich mir die Nähe eines netten Menschen herbei. Außerdem redeten die Leute um mich herum in einer fremden Sprache, was das Gefühl der Nicht-dazu-Gehörigkeit nur noch verstärkte. Davon hatten meine Eltern geredet, als sie mich vor der Einsamkeit in der Ferne warnten, nun verstand ich was sie meinten. Ich hatte viel Zeit und Ruhe zum Nachdenken.
Komischerweise vermisse ich den Fernseher und Ähnliches kein bisschen und langsam konnten sich die Gedanken wieder frei entfalten - wie es am Anfang dieser Reise auch vorgesehen war. Doch ein Gedanke überdeckte all die anderen Wünsche:
Ich brauchte dringen eine Dusche!


2001-06-15: Etwas Ruhe [top]

Endlich war ich in Brindisi angekommen und lag in einem (nicht ganz) weichen Bett. Aber bis dahin war es noch eine lange Geschichte...

Die Fahrt in Richtung Brindisi war lang und unbequem gewesen. Der Zug stoppte in Brindisi, ich sah zwar das Schild am Bahnhof, dachte aber die Bahn wartete bis die Plattform frei sein würde. Dem war aber nicht so, den der Zug stand schon an der Plattform und fuhr plötzlich weiter. So war ich gezwungen weiterzufahren. Und plötzlich war ich in Lecce.

Ein Blick auf den Fahrplan, zeigte mir, dass ich wiedereinmal Mist gebaut hatte, den wir hatten 23:40 Uhr und der nächste Zug würde erst um 06:45 Uhr zurück nach Brindisi gehen. Langsam häuften sich solche verplanten Abende an fremden Bahnhöfen. Nun gut, dachte ich mir, am besten gehe ich in die Stadt und miete mir ein Hotelzimmer. Ich hatte genug davon ungewaschen durch die Gegend zu wandern. Ich schlug somit den Weg in die Innenstadt ein. Diese war sehr schön. Alte Gebäude, saubere Straßen -eine wohlüberlegte und großzügige Stadtplanung. Doch leider war weit und breit kein Hotel zu finden. Mal vom Motel Grande nahe dem Bahnhof abgesehen - dieses schien mir nicht ganz meine Preisklasse zu sein. Nach einigen sinnlosen Suchversuchen durch die teils sehr dunklen Straßen, gab ich auf und beschloss es mir doch - der neuen Gewohnheit folgend - am Bahnhof gemütlich zu machen. Also nahm ich den ganzen Weg zurück.

Der Bahnhof war sehr gemütlich: klein, sauber und nur von zwei Pennern belagert. Einer roch wie zehn Jahre nicht gewaschen. Zum Glück lag er genau unter einem Abzug der Klimaanlage. Ich schnappte mir auch eine Bank, richtete mich auf dieser heimisch ein und begann in meinem Italienischwörterbuch zu schmökern. Einige zwielichtige Besucher zogen durch die Vorhalle, doch ich störte mich nicht daran, wenn diese durch mein vorübergehendes Schlafzimmer liefen.
Irgendwann kam ein Italiener vorbei, der sich auch eine Sitzreihe zu Recht machte. Nach kurzer Zeit kamen wir ins Gespräch und ich erfuhr, das er eigentlich in Frankfurt am Main geboren wurde. Seit zwei Jahren lebte er aber wieder in Italien, um auf seine pflegebedürftige Oma aufzupassen. Eigentlich sollten diese Aufgabe seine Eltern übernehmen. Da sie aber kurz vor der Rente standen und sich eine so lange Auszeit nicht leisten konnten, musste er sich für einige Jahre der Sache annehmen. Er hat seine Arbeit als Parkettleger aufgeben müssen (Nettoverdienst inklusive Schwarzarbeit: 4000 DM) und sollte noch einige Zeit hier verbringen. Er wohnt in einen Dorf nicht weit von Lecce und schaute hier öfters vorbei, um seine Freunde zu besuchen. Von ihm hatte ich auch erfahren, dass Apullien immer noch von der Mafia regiert wurde und dass es hier deswegen auch Zucht und Ordnung gäbe. Wer Drogenhandel oder sonstige dunklen Geschäfte betreiben wollte, musste beim Obermafiosi des jeweiligen Ortes vorsprechen und sich die Erlaubnis dazu einholen. Auf diese Art und Weise ist der Verbrecher praktisch erfasst und kann bei Missbrauch seiner Kompetenzen von der Mafia zur Rechenschaft gezogen werden. Ein kleines Beispiel des Rechtssystems: Ein bedepperter 15jähriger klaut ein Auto, der Autobesitzer schaut bei den Mafiosis vorbei und beschwert sich. Die Mafia hat ihre Augen und Ohren überall. Sie klopft dem bösen Dieb auf die Finger und einen Tag später steht das Auto wieder bei seinem Eigentümer vor der Tür. Die Mafia sorgt auch dafür, dass die Marokkaner und anderen Afrikaner keinen Fuß in Apullien fassen, um es in einen Verbrechersumpf, wie Neapel zu verwandeln. So was nennt man wohl geordnete Kriminalität.
Irgendwann liefen wir wieder in die Stadt, damit sich der Italiener Zigaretten holen konnte. Vor dem Bahnhof trafen wir drei Typen, die auf dem Schwulenstrich gingen und uns anbaggerten. Wir bedankten uns und meinten scherzhaft, dass wir keinen Bedarf hatten, wir hätten ja schon uns beide.
Zurück am Bahnhof unterhielten wir uns noch lange, doch gegen 05:00 Uhr ging mein Zug und wir mussten uns verabschieden. Ich fuhr zurück nach Brindisi.

Gegen 06:00 Uhr dort angekommen, fand ich alle Geschäfte und Reisebüros noch geschlossen. Also beschloss ich dem Schild zu folgen, der den Weg zu einer Jugendherberge wies.
Einige Kilometer später stand ich vor verschlossenen Toren, weil auch die Herberge erst um neun Uhr aufmachte. So dachte ich mir, dies wäre die richtige Zeit für die erste Zigarre und killte eine von den drei Havannas, die ich auf diese Reise mitgenommen hatte.
Plötzlich gab es drinnen im Hof der Herberge lauten Krach. Als ich nachschaute, waren es zwei Kosovo-Albaner, die in der Herberge übernachtet hatten und nun mit ihren Autos vor neun Uhr nicht rausfahren konnten. So würden sie ihre Fähre erneut verpassen. Die letzte Fähre hatten sie verpasst, als der eine mit seinem VW Bus einen Unfall mit einem Alfa Romeo hatte und sie deswegen fünf Stunden auf die Policia warten mussten. Einige Tage verloren sie auch, weil der alte 500 DM Golf des anderen Albaners streikte. Da dieser aber bei VW arbeitete, konnte er das Ding wieder richten. Nur an den Ersatzteilen hatte es gehapert. Der Anlasser war immer noch defekt, weswegen das Auto nur mit einigen Hammerschlägen auf diesen anzubekommen war. Sie hatten mir auch erzählt, sie wollten die Karren und einige Fahrräder in Albanien verscheuern und im Anschluss wieder zurück nach Deutschland zu fliegen. Sie kamen aus Deutschland und verdienten so etwas Kohle nebenbei. In diesem Moment versuchten sie das Schloss am Eingangstor aufzuschrauben, um die Fähre doch noch rechtzeitig erreichen zu können.

Um 09:00 Uhr kam dann der Herbergsbesitzer. Ich verabschiedete mich von den beiden Chaoten und mietete mir für 35 DM ein Einzelzimmer. Für 23 DM gab's einen Platz in den Gemeinschaftsunterkünften, doch davon hatte ich erst mal genug und wollte nur meine Ruhe.
Endlich geduscht - die Duschen waren um einiges schlimmer als diese am Bahnhof - legte ich mich in meinem zirka 7 m² großem Zimmer auf das Bett und schlief einige Stunden.
Geweckt wurde ich von verdammt lauter Musik aus der Eingangshalle und aus dem Hinterhof. Total erbost, zog ich mich an und wollte runterhetzen, um mich zu beschweren, doch dann wurde die Musik auch schon leiser gedreht. Ich schnappte mir meine Italolektüre und hing auf dem Hinterhof in der Sonne herum.
Später ging ich hoch und schrieb endlich die Postkarten an Leute, denen ich es versprochen hatte. Gegen 15:00 Uhr ging ich zum Shoppen in die Stadt. Der erste Supermarkt, den ich fand, war geschlossen. Der zweite auch. Nur der dritte konnte mir mit Trinken und Essen dienen. Nur lag dieser leider einige Kilometer weiter weg, auf der anderen Seite der Stadt. Also hieß es laufen, laufen und - natürlich - nochmals laufen. Also lief ich, Sport sollte ja bekanntlich gesund sein.
Wieder in der Herberge angekommen, gab es endlich Futter und dann schrieb ich diese Seiten und die restlichen Postkarten fertig. Unter mir auf der Hinterhofterrasse: italienische Musik, Stimmen und Lachen. Über mir ein wundervoller Sommerabend - so schaute das Leben doch schon viel gediegener aus.


2001-06-16: Wo geht es hier zum Hafen? [top]

Am nächsten Morgen um halb acht bin ich aufgestanden, habe geduscht, Sachen gepackt, gefrühstückt und den Wirt gefragt, wann dieser vor hatte in die Stadt zu fahren. Auf Laufen hatte ich nun wirklich keinen Bock mehr...

Eine Stunde später setzte mich der Arsch am Bahnhof aus, obwohl er mir versprochen hatte, mich zum Hafen zu bringen. Der Grund dafür waren einige neue Reisende, die am Bahnhof warteten. Die neuen Gäste hatten eben Vorrang vor den alten.
Also ließ ich mir den Weg weisen und war eine halbe Stunde später am Hafen. Unterwegs schickte ich noch schnell die Postkarten in die Heimat ab. Nur 800 Lire per Stück, etwas zu billig, mal schauen ob sie auch wirklich ankommen würden.
Das nächste Problem wartete bereits auf mich. Die Fähre nach Griechenland fuhr von einem anderen Hafen ab, welcher etwa zwei bis drei Kilometer weiter weg lag. Dies erfuhr ich von einem Taxifahrer, der mir auch sagte, dass die nächste Fähre um 11:00 Uhr startete - also in zehn Minuten, und er mich innerhalb dieser Zeit hinfahren könne. Dem Angebot gegenüber war ich aber etwas skeptisch. Erstens, wusste ich nicht mit welcher Reisegesellschaft ich per Fähre reisen wollte und zweitens konnte ich mir nicht vorstellen, in 10 Minuten bis zum Hafen zu kommen und dann auch noch einzuchecken. Ich denke nicht, dass wir das zeitlich geschafft hätten. Deshalb lehnte ich das Angebot dankend ab und machte mich zu Fuß in die gewiesene Richtung.
Es war weiter als ich dachte. Ich passierte enge Gassen, breite Straßen, Industriegebiete und wüstenähnliche Landschaften. Irgendwann sah ich Straßenschilder, die ein "Porto" anpriesen. Diesen Wegweisern folgte ich und siehe da: Porto Apollinari ragte vor mir auf.
Kaum dass ich die Tore passieren wollte, kam mir ein Auto entgegen. Aus diesem stieg ein riesiger haariger Grieche aus, der mir in schlechtem Englisch klar gemacht hatte, dass dieser Hafen geschlossen sei, weil er umgebaut wurde. Und er mir leider nicht sagen könnte, wo ich genau hin musste. Er versicherte mir nur, dass es eben mit Sicherheit der falsche Hafen sei.
Etwas leer kam mir die Anlage hier schon vor. Also glaubte ich ihm, bedankte mich und folgte den Schildern zum nächsten Hafen.

Eine weitere Stunde später, stand ich vor dem nächsten Hafen. War das nun endlich der Richtige? Keine Ahnung. Auf jeden Fall war dieser hier viel belebter.
Prompt fand ich die "Hellenistische Medeterian Lines" - die Gesellschaft, die Fährenpassagen für Interrailer bereitstellte. Der Schalter war geschlossen. Der Parkplatz vor dem einstöckigen Gebäude war voller Autos mit deutschen Nummernschildern. Ich fragte die wartenden Leute nach HML, doch keiner reiste mit diesem Unternehmen oder konnte mir sonst weiterhelfen.
Nach einigen Stunden des Wartens, kam ich zufällig mit einer jungen Frau ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass sie das gleiche Problem hatte wie ich. Nur dass sie ihr Ticket bei HML telefonisch vorbestellt hatte. Auf ihrem Fahrplan stand auch, dass heute um 19:30 eine Fähre nach Patras, Griechenland, gehen sollte. Also beschlossen wir gemeinsam zu warten und zu hoffen.
Ihr Name war Viktoria. Sie kam aus Schweden und war in meinem Alter. Sie war knapp 1,80 Meter groß, blond und schlank. Sie studierte Biologie und war gerade auf dem Weg nach Athen, um dort in einem Krankenhaus für Tiere zu arbeiten. Die letzten Tage verbrachte sie bei Freunden in Mailand. Wir unterhielten uns in Englisch. Besser gesagt, sie sprach Englisch und ich stammelte nur mit sehr viel Mühe einige halbkorrekte Sätze zusammen. Hier merkte ich erst wie sehr mein Englisch eingerostet war. Wir warteten.

Um 20:00 Uhr war immer noch niemand am HML-Schalter. Wir riefen einige Male im HML-Büro in Brindisi an, erreichten aber niemanden. So beschlossen wir Tickets bei einer anderen Fähren-Gesellschaft zu kaufen. Vor allem als wir erfuhren, dass bei HML schon seit einigen Wochen keine Fähren mehr fuhr und die Gesellschaft kurz vor dem Bankrott stand, machten wir uns langsam doch Sorgen. Leider kosteten die neuen Tickets zwischen 60 und 80 DM. So beschlossen wir bis Morgen zu warten und am Hafen zu übernachten.
In die Stadt konnten wir nicht laufen, da es zu weit war und Geld für ein Taxi wollte auch keiner von uns ausgeben. So richteten wir uns auf eine Nacht am Hafen ein.
Viktoria ging kurz zum Shop. Als sie zurückkehrte, erzählte sie, dass sie dort im Schaufenster eine Anzeige von einem Tageshotel gesehen hatte. Dort würde man für 9000 Lire pro Tag unterkommen. Dieses Hotel würde die Interessenten auch direkt am Hafen abholen. Wir sahen uns die Annonce genauer an. Die Bilder vom Bus, den Zimmern und die Beschreibung, ließen in mir den Verdacht aufkommen, es könnte sich um die Jugendherberge handeln, in der ich übernachtet hatte. Da der Name der Einrichtung und der Preis sich von der Jungendherberge unterschieden, ließen wir den Ladenbesitzer dort anrufen. Nach 15 Minuten sollte jemand kommen.
Eine Stunde später war immer noch keiner da. So dass wir schon gehen wollten. Doch plötzlich tauchte der mir bekannte rote Bus auf und der Besitzer des Youth Hostels stieg daraus. Er war ziemlich erstaunt mich zu sehen. Ich dagegen war eher nicht so sehr überrascht.
Ich habe ihn zuerst auf den außergewöhnlich günstigen Preis aus der Anzeige angesprochen. Er erklärte, dass dies der Preis für einen Aufenthalt am Tag wäre, eine Übernachtung würde aber soviel kosten, wie mir schon bekannt war. Verbrecher, auf der Anzeige stand nichts davon!
Wir entschuldigten uns für die Arbeit, die wir ihm mit unserem Anruf machten und beschlossen am Hafen zu bleiben. Doch er war von Viktoria sichtlich betört und versprach uns, für eine Nacht den Preis von 9000 Lire zu geben. Und so fuhren wir den uns bekannten Weg zurück (Viktoria lief auch zum Hafen). Ich kann immer noch nicht verstehen, wie sie zu diesem Hafen gelaufen war, denn ich hatte wirklich Schwierigkeiten ihren Koffer zu rollen, bzw. ihre schwere Tasche zu tragen.
Diesmal musste ich im Gemeinschaftsraum übernachten. Dieser hatte fünf Doppelstockbetten. Auf dem Weg zur Herberge lasen wir noch einen Ami mit dem Namen Jeremy auf.
Nun reicht es mir vorerst mit dem Schreiben. Licht aus und ab ins Bettchen, dachte ich mir nun. Diese verdammten Stechmücken hatten mich in dieser Nacht beinahe aufgefressen.


2001-06-18: Déjà-vu [top]

Ok, dann wollen wir mal am besten mit dem gestrigen Tag beginnen.
Am nächsten Morgen bin ich früh aufgestanden und hab mich in die Stadt begeben, um das Problem mit dem Ticket für die Fähre zu klären. Das Büro von HML war immer noch geschlossen - klaro, war ja auch Sonntag. Also hieß es noch einen Tag warten. Ich wollte aber kein Geld mehr für die Herberge ausgeben, da das Geld eh schon recht knapp kalkuliert war. Also erzählte ich Mauritio - dem Hostelbesitzer -, dass ich hätte kein Geld mehr hätte und fragte ihn, ob ich eventuell etwas arbeiten könne, um für einen Tag da zu bleiben. Er meinte, dass es kein Problem wäre. Ich könne bleiben und er würde mir schon etwas zu tun geben.
Gegen Mittag fuhren wir mit dem Hostelbus, zu ca. zehnt, zum Strand. Inzwischen hatte ich zwei Amis kennen gelernt und verstand mich mit den beiden recht gut. Der eine war der Jeremy vom Tag zuvor, der ganz Europa bereiste. Das Einzige, was er bei sich hatte, war ein kleiner Rucksack mit einem Ersatz-T-Shirt und Waschzeug. Eigentlich ist er mit seiner Schulklasse nach Europa gekommen, hatte dann aber keine Lust mehr auf Kulturreisen und setzte sich ab. Koffer und Co. gingen direkt in die USA zurück - ohne ihren Besitzer.
Der andere hieß Ricardo J. Mora. Er studierte in Harvard eine ganze Menge Zeugs. Darunter auch Jura. Er machte einen verdammt cleveren Eindruck. Es machte Spaß sich mit ihm zu unterhalten - und ja, lachen konnte er auch...
Wir hingen einige Stunden am Strand herum. Die einen badeten, die anderen lagen faul am Strand herum. Endlich konnte ich mich mal entspannen und in der Sonne liegen, ohne den störenden Rucksack.
Viktoria war auch ein Fan von Fantasy. Sie schrieb regelmäßig Kurzgeschichten. Ist das ein Zufall? Sie versprach mir meine Homepage zu besuchen und die Fotos von dieser Interrailreise anzusehen. Außerdem wollte sie mir auch e-mailen.
Im Laufe des Tages merkte ich - und die Anderen natürlich auch -, dass Mauritio, Viktoria überaus zuvorkommend behandelte und ihr schien es zu gefallen. Ich dachte mir mal, dass das Ganze hier in einer netten kleinen Affäre enden würde, wenn dies nicht schon der Fall gewesen war.
Am Abend fuhren wir zurück ins Hotel. Es kamen einige neue Gäste an. Die meisten stammten aus den USA, aber auch Iren und Schweden waren dabei. Langsam wurde die Bude richtig voll. Im Laufe des Abends lernte ich eine Menge neuer Leute kennen. Wir unterhielten uns - so konnte ich mein Englisch etwas aufpolieren - und spielten Basketball. Es war wirklich sehr lustig. Später nervte mich noch ein Österreicher mit seiner Nörgelei bezüglich der Herberge und dem Rest der Welt. Er beschwerte sich über den schlechten Zustand der Sanitäranlagen, über das schlechte Essen usw. Er nörgelte an den Italienern herum und schimpfte über die Amis. Irgendwann konnte ich mich abseilen und ging früh zu Bett. Ich wollte auch Mauritio nicht begegnen, da ich ein schlechtes Gewissen wegen der "kostenfreien" Unterkunft hatte.

Am nächsten Tag machten sich die anderen auf den Weg in die Stadt, um die Sache mit den Tickets zu klären. Da die meisten entweder mit Eurorail oder Interrail reisten, waren auch sie auf HML angewiesen. Ich gab mein Interrail-Ticket und meinen Personalausweis den Iren und bat sie auch mir ein Ticket für die Fähre zu besorgen.
Dann sprach ich Mauritio an und bat um Arbeit. Zuerst durfte ich seinen Bekannten beim Streichen des Flurs im Obergeschoss der Herberge helfen. Er strich, und ich räumte Zeugs aus dem Weg und sorgte für Sauberkeit.
Bald kamen die anderen aus der Stadt und meinten, dass die einzige Möglichkeit nach Griechenland zu kommen, eine andere Fähre wäre. Sie kauften sich auch je ein neues Ticket für 60000 Lire. Da sie nicht wussten, ob ich mir das Ticket auch leisten wollte, kauften sie mir keines.
Das brachte mich auf die Palme. Es konnte doch nicht sein, dass ich ein neues Ticket kaufen musste, obwohl mir mit meiner Interrail-Fahrkarte eine Fahrt mit der Fähre zugesichert worden war.
Also bin ich selber in die Stadt gesaust, um mich um das Ticket zu kümmern. Auf dem Weg nach unten redete ich mir Mut und Wut an. Als ich im HML-Büro ankam, explodierte die Bombe...
Fünf Minuten später hatte ich meine kostenfreie Bordkarte für die 19:00 Uhr-Fähre. Das Gekreische und die Beschimpfungen des Reisebüros hallten immer noch in meinen Ohren nach, doch mir war es egal, ich hatte mein Ticket - basta.
Als ich im Hostel ankam, erzählte ich dies den Iren. Diese ärgerten sich grün und blau über ihre bezahlten Karten, hatten aber weder Lust noch Zeit erneut in die Stadt zu rennen, um die Sache zu klären. Daher beließen sie es dabei.
Am Nachmittag befreite ich den Herbergsgarten von allen möglichen Abfällen. Nach zwei riesigen Müllsäcken voller Papier-, Kunststoff- und Metallabfällen beschloss ich, dass meine Schuld Mauritio gegenüber nun beglichen sei. Er war der gleichen Meinung und erließ mir die Hostelkosten für zwei Tage.
Gegen 18:00 Uhr fuhren wir zum Hafen. Ich verabschiedete mich von allen, checkte ein und war eine halbe Stunde später unterwegs nach Patras.
Ach ja, Viktoria entschied sich doch noch einige Tage in der Herberge zu verbringen. Wer hätte das gedacht?

Auf der Fähre stellte ich fest, dass ich mich mit meinem Interrail-Ticket nur in der Dritten Klasse aufhalten durfte. Was in diesem Fall schlafen auf Deck in äußerst unbequemen Gartenstühlen bedeutete. Auch der heftige Wind und die Kälte werde ich wohl voraussichtlich sechzehn Stunden aushalten müssen. Da ich aus hirnloser Kurzsichtigkeit meinen Schlafsack zu Hause gelassen hatte, war das Thema Wärme der absolute Luxus. Daher zog ich mir vor dem Schlafengehen einen Kapuzenpullover und eine nur bedingt windabweisende Regenjacke an. Beides Kleidungsstücke, die ich auf meine Reise erst gar nicht mitnehmen wollte, doch Muttis Argumente haben sich gegen meine Bequemlichkeit durchgesetzt. Vielen, vielen Dank. Smiley
Zwei Typen, die einen (Garten-)Tisch weiter saßen, redeten Deutsch. Ich sprach sie drauf an und stellte fest, dass die Beiden aus der Nähe von München kamen. Sie hießen Ferdi und Matze. Schön mal wieder Deutsch zu hören/reden, dachte ich mir sofort.


2001-06-19: Die vier Musketiere [top]

Die Nacht schlief ich wie vermutet auf Deck. Es war verdammt kalt. Trotz dem Pullover, der Regenjacke und einer Langen Hose fror ich erbärmlich. Das schlimmste war der Wind, vor dem es hier an Deck kein Verstecken gab.
Die halbe Nacht suchte ich vergeblich nach einem windstillen Plätzchen. Die andere Hälfte der Nacht redete ich mir ein, dass Frieren reine Einbildung wäre - leider auch erfolglos. Zum Glück kam bald der Morgen. Ich hing einige Stunden mit den beiden deutschen Studenten herum und lernte bald einen Japaner kennen. Er hieß Ko.
Weiterhin hatte ich auf der Fähre einige Angestellte kennen gelernt, die Russisch sprachen. Soweit es meine Kenntnisse zuließen, unterhielt ich mich mit ihnen. Es ist wirklich sehr praktisch mehrere Sprachen zu können.
Nach 20 Stunden Fahrt legten wir in Patras an. Die Fähre selbst hatte sich um zwei Stunden verspätet und musste zwei weitere Stunden vor dem Hafen warten, da es keine freien Anlegestellen gab.
Wir beschlossen zu viert bis nach Istanbul weiterzureisen. Nach langem Herumirren durch die Stadt, fanden wir endlich eine Wechselstube. Wir wechselten etwas Geld in Drachmen und hauten uns tonnenweise Gyros rein (in meinen Augen nichts anderes als Döner mit Pommes). Dann kauften wir Proviant ein und brachen mit dem Zug nach Athen auf.

Dort angekommen fanden wir einen recht kleinen Bahnhof vor. Die Züge hier verkehrten nur zwischen Athen und dem südlichen Teil Griechenlands. Einige Meter weiter befand sich der Bahnhof, der die Anlaufstelle für Züge aus dem nördlichen Teil Griechenlands war.
Unser Zug in den Norden fuhr erst in vier Stunden, also hatten wir etwas Zeit. Ungeduscht und vollbepackt wie wir waren, schlenderten wir in die Stadt, um uns diese genauer anzusehen. Ich schaute mich gleichzeitig nach einem Hostel für die Rückfahrt um, dann wollte ich mir Athen genauer ansehen und die Akropolis besuchen. Nicht weit vom Bahnhof sah ich auch eine Unterkunft für zirka 20 DM die Nacht.
Hier war ich wirklich froh nicht alleine zu reisen. Als unsere kleine Gruppe den Bahnhof verlassen hatte, folgten uns über eine halbe Stunden lang einige Männer, die ganz und gar nicht freundlich aussahen.
Vielleicht war es auch nur Einbildung, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass wir nicht nur einmal schief angesehen oder verfolgt wurden. Na gut, ich muss gestehen, dass einige der Straßen, die wir passierten recht ghetto-like aussahen und wir als naive Backpacker/Touristen ein leichtes Ziel für jede Art von Schmu darstellten.
Am meisten sind mir die Kellerwohnungen in Erinnerung geblieben. Wohnungen, deren kleine Fenster sich nur knapp unterhalb der Zimmerdecke befanden, welche nur knapp einen halben Meter überhalb der Straße lag. Also dunkle Räume, die zum großen Teil nicht einmal Glasscheiben besaßen, sondern nur provisorisch mit Karton verdeckt wurden. Räume, in denen ein gelegentlicher Blick durch das Fenster kahle Räume mit alten Matratzen auf den Böden offenbarte. Und vor diesen trostlosen Behausungen, spielten die Kinder.


2001-06-20: Willkommen im Gruselkabinett [top]

Wir fuhren nach Thessaloniki. Dort verließ uns Ko, weil er diese berühmte Universitätsstadt ansehen wollte. Ich hatte mit ihm Emailadressen ausgetauscht und gab ihm meine Telefonnummer. Er wollte in einigen Wochen zur Loveparade nach Deutschland kommen und ich bot ihm an, bei uns zu übernachten.
Wir drei fuhren weiter nach Pithion, dem östlichsten Dorf Griechenlands.
Dort angekommen, stellten wir fest, dass nur ein Zug pro Tag über die Grenze in die Türkei fuhr. Er fuhr jeden Tag um 15:30 Uhr, doch wir hatten schon 17:00 Uhr.
Der Dorfpolizist meinte, wir sollten einige Städte zurück fahren um dort zu versuchen einen Bus über die Grenze zu bekommen. Der nächste und für diesen Tag letzte Zug zurück würde um 20:36 Uhr fahren.
Am Bußbahnhof warteten fünf Amis und ein Australier. Die Amis wurden in Pithion aus dem Zug geworfen, als sie sich auf dem Weg von Istanbul zurück nach Griechenland in einem Schlafwagen ohne Reservierung einquartierten, was vom Schaffner dem Schwarzfahren gleichgestellt wurde.
Der Australier war auf dem Weg zu den Meteora-Klöstern, unterhalb von Thessaloniki, um dort diese Klöster zu erkunden. Er war mit einem Fahrrad samt Anhänger unterwegs und überbrückt die längeren Strecken per Bahn.

Als der Zug kam, wollten Ferdi und Matze zurück bis nach Kipi fahren und es von dort aus mit dem Bus versuchen. Auch die Amis und der Australier fuhren mit diesem Zug ab.
Ich blieb in Pithion und war eigentlich recht froh nicht mehr mit den beiden Studis zu reisen. Es waren zwar nur zwei Tage, die wir gemeinsam verbrachten, doch die Zeit hatte vollkommen gereicht, um die Launen der Beiden zu erleben. Hochnäsige Arroganz, gemischt mit kleinmädchenhafter Zickigkeit und Manieren, die einem manchmal die Schamesröte ins Gesicht trieben - so oder so ähnlich könnte die passende Beschreibung deren Charakters klingen.
Jetzt konnte ich wirklich nachvollziehen, warum es so schwierig war passende Mitreisende zu finden.

Ich bereitete mich auf eine lange Nacht vor. Wenigstens war der Warteraum am Bahnhof beheizt. Das Dorf oder die Stadt - da bin ich mir nicht so sicher - stand den abgelegenen halbverlassenen Städten, wie sie gerne in Horrorfilmen dargestellt werden, in Nichts nach.
Die Häuser in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs waren leer und halb eingefallen. Nur wenige Bewohner waren auf der Hauptstraße anzutreffen. Wenn überhaupt, dann schienen sich die Einwohner in der Bahnhofskneipe zu treffen. Diese Kneipe hatte von früh bis spät in die Nacht offen und der Besitzer hing die ganze Zeit vor der Kneipe herum.
Es handelte sich hier also um ein kleines Städtchen am Rande von Nirgendwo. Perfekter Schauplatz um irgendwelche bösartigen Kreaturen auftauchen oder die Bewohner zu seelenlosen Zombies mutieren zu lassen, die einen unvorsichtigen Reisenden des Nächtens verspeisen. Lagen nicht Bulgarien und Rumänien in der Nähe? Beides Hochburgen Frankensteinischer Monsterzuchtorgien. Ich hatte eh den Eindruck, dass der Polizist, als er uns einige Stunden zuvor mit Nachdruck mehrere Wege beschrieben hatte, scheinbar alles zu tun versuchte, damit wir hier nicht über Nacht bleiben mussten.
Mit diesem Wissen versuchte ich meine blühende Phantasie unter Kontrolle zu bringen, als ich im Warteraum zitternd die offenen Fenster verriegelte. Werde ich den Morgen erleben? Wenn ja, als was werde ich dann aufwachen? Als Vampir? Als Zombie? Oder gar als etwas noch schlimmeres? Werden Untote durch die dünnen Holzwände brechen, um sich an mir zu laben?
Keine Angst, - alles Produkte kranker menschlicher Phantasie, versuchte ich mich zu beruhigen. Beinahe ist es mir gelungen, doch als ich die knarrende Tür des Warteraumes zumachen wollte und einen letzten Blick nach draußen in die Abenddämmerung warf, sah ich in der absoluten Stille der nahenden Nacht, die einsame Gestalt eines kleinen Mädchens, welches entlang der Gleise spazieren ging. Sie befand sich ungefähr 50 Meter von mir entfernt und bewegte sich weg vom Bahnhof in Richtung eines Waldes, der dunkel und angsteinflössend zirka 200 Meter rechts vom Bahnhof aufragte. Sie lief langsam aber schnurgerade auf ihr Ziel zu und blickte weder um, noch hinter sich. Ich schluckte. Ade du schöne Welt, es war wirklich schön gelebt zu haben.

Die Bahnhofskneipe lag nur durch eine Wand getrennt neben dem Warteraum. Hinter dieser Wand hörte ich ständig Geräusche von sich bewegenden Dingern. Ich hoffte, dass es nur die Katze des Besitzers wäre, die ich am Tag vor der Kneipe gesehen hatte. Draußen ließ die im Wind flatternde Fahne das Laternenlicht flackern und monströse Schatten vor und hinter dem Fenster werfen. Plastikplanen und Büsche raschelten vor dem Gebäude und in der Pampa, gegenüber des Bahnhofes, machten mir unbekannte Vögel, komische Laute. Manche klackten dumpf, andere erinnerten sehr stark an weinende Kinder. Einige dieser Laute kamen gefährlich nah an die Eingangstür. Im Warteraum muffelte es penetrant nach verrottendem Fleisch - wahrscheinlich eine tote Ratte, so meine Vermutung - doch die Quelle für diesen Gestank fand ich leider (oder zum Glück) nicht.
Wir hatten 23:50 Uhr und langsam besiegte die Müdigkeit meine Angst. Ich band mir den Bundeswehrrucksacks mit einem Schnürsenkel an das linke Bein, um auf mögliche Rucksackdiebe vorbereitet zu sein und holte mein Schweizer Taschenmesser aus der Seitentasche des Rucksack. Ich nahm es so in beide Hände, dass ich die tödliche und rostfreie 6-Zentimeter-Klinge bei Bedarf, im Bruchteil einer Sekunde, aufklappen können würde. Dann streckte ich mich in der Mitte des leeren Raumes auf einer Reihe Wartesitze aus und schlief besorgt ein.


2001-06-21: Türkisch für Anfänger [top]

Der Morgen kam und ich schien dem Grauen der bösen Unterwelt entkommen zu sein. Im Halbschlaf ertastete ich meinen Hals und stellte erfreut fest, dass dieser keinerlei Bißwunden aufwies. Auch die wichtigen Gliedmaßen schienen sich noch alle an meinem Körper zu befinden. Bis auf einige wenige Hochschreckmomente, hatte ich eigentlich recht gut geschlafen. Doch trotzdem, irgendetwas stimmte hier nicht. Ich machte meine Augen auf und blinzelte einige Male, um mich an das schmerzende Tageslicht zu gewöhnen.
Ich lag immer noch auf der gleichen Sitzreihe wie die Nacht zuvor, doch um mich herum, dort wo den Tag und die Nacht zuvor alles leer war, befanden sich nun Menschen. Eine ganze Menge Menschen. Es mussten Dutzende sein, denn sie füllten den mittelgroßen Warteraum fast vollständig aus. Alle Sitzgelegenheiten waren besetzt und trotzdem standen noch mehrere Personen. Die Meisten waren in Gespräche vertieft. Als ich mich aufrichtete, unterbrachen einige ihre Gespräche und sahen mich lächelnd an, nickten oder grüßten mich auf Griechisch. Ich versuchte mir meine Irritation nicht anmerken zu lassen und grüßte höfflich zurück. Dann merkte ich etwas feuchtes an meiner rechten Backe. Ich wischte mit der Hand drüber und fand meinen eigenen Speichel vor. Scheinbar schlief ich die Nacht über mit offenem Mund und ein kleines Bächlein Sabber bannte sich den Weg nach Draußen und sammelte sich zu einem richtigen See nahe meiner Schulter. Dann bemerkte ich, dass ich das Taschenmesser immer noch in der linken Hand hielt und steckte es unauffällig in meine Hosentasche.
Ich wage gar nicht daran zu denken, wie ich auf die hier wartenden Fahrgäste wohl gewirkt haben muss. Aber lieber so, als die Untotengeschichte.

Als ich mich frühs auf der Bahnhofstoilette waschen wollte und den Rasierschaum großzügig über mein Gesicht verteilt hatte, stellte ich genervt fest, dass aus dem Wasserhahn kein Wasser kam. Daher musste mein Vorrat an Mineralwasser für die notdürftige Waschung herhalten. Auch der Trinkwasserbrunnen hinter dem Bahnhof war leer. Scheinbar hatten die Leute hier einige Probleme mit der Wasserversorgung.
Inzwischen füllte ich mich am Bahnhof recht heimisch. Sogar der Kneipenbesitzer grüßte mich überschwänglich, so als ob wir uns schon jahrelang gekannt hätten.
Gegen 10:00 Uhr kam ein Zug aus Thessaloniki und Ko stieg aus. Er hatte sich in Thessaloniki einige Sehenswürdigkeiten angesehen und mit Proviant eingedeckt. Er hatte auch einen neuen Schlafsack und eine neue Schlafmatte dabei.
Dann schauten wir uns zusammen eines der verlassen Häuser hinter dem Bahnhof an. Überall stand zerfallene Möbel und kleinere Einrichtungsgegenstände. Die Fensterscheiben waren eingeschlagen und die Decken teilweise eingestürzt. Unzählige Riesenspinnen machten es uns leicht das Haus zu verlassen und wieder zum Bahnhof zurückzukehren.
Bald kam der Zug nach Istanbul an. Ferdi und Matze schienen keinen anderen Weg über die Grenze gefunden zu haben und saßen schon im Zug. Auch Ric und sein Vater waren schon drin und freuten sich mich zu sehen.

Gleich nach der Grenze musste der Zug für 30 Minuten halten und wurde von türkischen Beamten durchsucht. Bei mir, einem Deutschen, reichte in der Türkei der normale deutsche Personalausweis vollkommen aus. Ric, sein Vater und Ko mussten aussteigen und in einem der Grenzhäuschen ein Visum für die Türkei beantragen.
Dann fuhren wir weiter. Ko, Ric, Rics Vater und ich saßen in einem Abteil. An einem kleinen Bahnhof gesellte sich noch ein freundlicher älterer Türke zu uns. Als der Schaffner zum Fahrkartencheck die Abteiltür öffnete und den alten Mann erblickte, fing er an zu schreien und jagte diesen aus dem Abteil. Wir bekamen keine Erklärung für diesen Vorfall und waren recht verwirrt. Erst später erfuhren wir, dass es in diesem Zug, Waggons für Touristen und welche für Einheimische gab. Der Touristenbereich war etwas komfortabler und sauberer.
In Istanbul angekommen, schlossen wir vier uns für die Zeit in der Stadt zusammen. Gleich am Bahnhof sprach uns ein Türke an und warb für ein Hotel, in dem wir für $10 inkl. Frühstück übernachten könnten. Wir trauten der Sache zwar nicht, folgten ihm aber trotzdem.
Auf dem Weg zum Hotel, zirka 300 Meter, überquerten wir einige Straßen, an denen Straßenhändler alles mögliche an Trödel feilboten. Ständig wurden wir von Kindern und alten Omas angesprochen, die uns ein Päckchen Taschentücher oder einen Apfel verkaufen wollten.
Das Hotel war mittelgroß und hatte mit Sicherheit schon bessere Zeiten gesehen, doch es war gepflegt und die Angestellten waren freundlich. Das Foyer war mit roten Teppichen ausgelegt und besaß unzählige goldenfarbige Verzierungen. Wir wollten uns, je zu zweit, ein Zimmer nehmen. Da es nicht genug 2er-Zimmer gab, erhielten Ko und ich vorerst ein Viererzimmer für uns alleine. Ric samt Vater kamen in einem 2er-Zimmer unter. Wir packten aus und gingen auf der Suche nach Essen in die Stadt. Als wir an einem EC-Automaten vorbeikamen, hob Ko 5000000 Türkische Lire ab und lieh jedem von uns 1000000, was zirka 1,30 DM entsprach, damit wir uns je einen Döner kaufen konnten. Danach gingen wir schlafen.


2001-06-22: Shopping in Istanbul [top]

Am nächsten Morgen wollte ich duschen, doch es gab kein warmes Wasser. Also biss ich die Zähne zusammen und duschte mich eiskalt ab.
Ko wollte wieder zurück nach Griechenland. Er hatte einen straffen Reiseplan und wollte unzählige Städte auf seiner Europareise abhacken. Er hatte in Spanien angefangen. Istanbul war sein östlichstes Ziel. Nun standen ihm noch die baltischen Länder, Deutschland und der Norden Europas bevor. Dann wollte er nach England und mit dem Flugzeug von London aus, wieder zurück in die Heimat nach Japan fliegen. Für diese Reise hatte er sich zwei Monate Zeit genommen. Seine Firma hatte im Mai schließen müssen und dadurch hatte er seinen Job verloren. Ab August würde er eine neue Arbeitsstelle antreten und nahm sich die verbleibende Zeit, um Europa zu erkunden.
Der einzige Zug nach Griechenland fuhr täglich um 08:30. Diesen Verpasste Ko und musste deswegen noch einen Tag länger in Istanbul bleiben.
Wir fanden eine Wechselstube, wechselten unser Geld und gingen anschließend zu viert in die Stadt, um diese zu erforschen.
Zuerst besuchten wir die Moschee Sofia. Ich wollte nicht mit reingehen, da der Eintritt 15 DM kostete und ich mit meinen Finanzen haushalten musste. Ric nahm mein Fotoapparat mit, um für mich vom Inneren Fotos zu machen. Nachdem sich Ko mir angeschlossen hatte, machten wir für eine Stunde die City unsicher. Danach sahen wir uns die Blaue Moschee an und begaben uns zum Grand Market, dem größten Marktplatz Istanbuls. Nach einigen Fehlversuchen fanden wir ihn, womit das große Geldausgeben begann.
Ric handelte den halben Tag mit diversen Teppichhändlern herum. Ich kaufte einen Zierdolch für meinen Vater und einige andere Souvenirs. Ko wurde derweil von einem schwulen Teppichhändler schamlos angebaggert, was für uns alle - außer Ko natürlich - sehr unterhaltsam war.
Istanbul war wie eine andere Welt. Alles dort ist laut und voller Menschen. Man muss tierisch auf seine Wertsachen aufpassen und ständig aufdringliche Händler abwehren, die einen andauernd ansprechen und unermüdlich verfolgen. Bei jeder auch noch so billigen Ware, muss man handeln. Fast, so scheint es mir, gehört es zum guten Ton zwischen dem Käufer und Verkäufer, sich über den Preis zu streiten. Ich bekam überall Nachlässe von 50-70 Prozent.
Die Preise in der Türkei waren überhaupt nicht mit denen in Deutschland zu vergleichen. Für homogene Leistungen zahlte man hier weniger als die Hälfte. Ein McChicken bei McDonalds kostete hier nur 2 DM, Postkarten gab es für 10 Pfennig, T-Shirts schon ab 1 DM und Fälschungen von Boss-Hemden konnte man schon für 2 DM erwerben. Ach ja, nicht zu vergessen sind natürlich die Döner in allen möglichen Ausführungen, die man zu einem absolut günstigen Preis von im Schnitt 1,20 DM erhielt. So viele Döner, wie ich hier an einem Tag aß, müsste es laut meiner persönlichen Durchschnittsstatistik, für die nächsten Monate erstmal reichen.
Abends besuchten wir einige kleinere Märkte. Ko ließ sich bei einem Friseur die Haare schneiden. Wir sahen uns noch bis 01:00 Uhr verschiedene Teile der Stadt an und schlossen den anstrengenden Tag mit einer dicken Havanna ab.


2001-06-23: Die Zwei-Klassen-Gesellschaft [top]

Wir standen um 06:00 Uhr auf und frühstückten. Ko und ich wollten zurück nach Griechenland fahren. Ric und sein Vater brachten uns zum Bahnhof. Dort sahen wir einen zirka 30jährigen Türken, der von der Polizei angeschrieen wurde. Er sah ziemlich versifft aus, hatte einen riesigen Bluterguss unter dem linken Auge und eine böse Platzwunde auf der Stirn. Bevor der Zug um 08:30 Uhr abfuhr, verabschiedeten wir uns schweren Herzens von Ric und seinem Vater.

Im Zug fanden wir in einem der letzten Wagons Platz. In dem Sechserabteil saß schon der Türke, den wir zuvor mit der Polizei am Bohnhof gesehen hatten. Wir kamen ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass er einwenig Deutsch sprach. Er hatte fünf Jahre in Österreich verbracht und lebte nun wieder in der Türkei - ca. 130 km von Istanbul entfernt - und war arbeitslos. Gestern wurde er wegen Besitz von Drogen von der Polizei verprügelt und man hatte sein gesamtes Geld gestohlen, als er die letzte Nacht geschlafen hatte - so seine Geschichte. Er hatte ein sehr verwegenes Äußeres und hatte dieses Verbrecherglitzern in den Augen. Er schnorrte bei Ko eine Zigarette und machte den Eindruck, als ob er uns gleich um Geld bitten würde. Zum Glück kam der Schaffner und wies uns an in den ersten Waggon zu gehen. Dieser war für Touristen reserviert und wäre für uns sicherer.
In den vorderen Abteilen trafen wir einen jungen Dänen, der vom Schaffner auch nach vorne geschickt wurde. Bis Griechenland sprachen wir über Computerspiele und spielten Karten.

Um 13:30 Uhr kamen wir in Pithion an. Der Zug nach Thessaloniki stand schon bereit, erforderte aber einen Zuschlag von 2200 Drachmen. Der nächste für Interrailer kostenfreie Zug würde zwei Stunden später fahren. Ich hatte als einziger keine Lust auf die Zahlung und beschloss die beiden Stunden in meinem liebgewonnen Pithion zu warten.
Der Däne wollte sofort weiterfahren, hatte aber nicht genug Drachmen dabei. Daher gab ich ihm die fehlende Summe aus meinem Drachmenbestand und erhielt von ihm den Gegenwert in Dänischen Kronen. Nun stand ich wieder alleine in Pithion. Naja, nicht ganz, der Besitzer der Bahnhofskneipe war ja auch noch da...
Bald kam der Zug und ich machte mich auf den langen Weg direkt nach Athen
In diesem Zug traf ich Alexandra. Sie war Griechin und studierte in Thessaloniki Informatik. Nebenbei codierte sie Programme für diverse Wirtschaftszentren und finanzierte somit ihr Studium. Wir tauschten unsere Emailadressen aus, bevor sie kurz nach Thessaloniki ausstieg.


2001-06-24: Der große Denker [top]

Der Weg nach Athen war recht weit, daher fuhr der Zug die ganze Nacht durch. Ich war alleine im Abteil.
Gegen 23:00 Uhr kam ein Grieche hinzu, setzte sich mir gegenüber und fing ein Gespräch in sehr schlechtem Englisch an. Ich war todmüde und wollte eigentlich nur schlafen, aber der Typ laberte ohne Unterbrechung sinnloses Zeugs. Dann fragte er mich, ob ich nicht müde sei? Ich könne mich hinlege und er würde hier bleiben und solange ich schlafe auf mein Zeug aufpassen.
Aus seiner Gangstervisage klang dieses Angebot nicht sehr verlockend. Ich winkte ab und blieb trotz meiner Müdigkeit wach. Der Typ wartete noch eine Zeit lang und verließ dann das Abteil. Bald ging die Tür erneut auf, er steckte seinen Kopf rein und wunderte sich, dass ich immer noch nicht schlief. Wir hätten ja schon 24:00 Uhr meinte er, und zog weiter.
Ich holte erneut mein "tödliches" Schweizer Taschenmesser aus dem Rucksack und behielt es in meiner Nähe. Dann machte ich im Abteil das Licht aus.
Die Dunkelheit vor dem Fenster und das gleichmäßige Rattern des Zuges lullten mich langsam ein. Die Augenlieder wurden schwer und ich schloss die Augen. Ja nicht einschlafen, ja nicht einschlafen, redete ich mir immer wieder ein.
Etwa eine halbe Stunde später ging die Tür des Abteils erneut auf. Ich öffnete meine Augen einen kleinen Spalt und erkannte trotz der spärlichen Beleuchtung den Typen von vorhin. Doch anstatt sich hinzusetzen, bewegte er sich leise und ganz vorsichtig auf mich zu. Er schien schauen zu wollen ob ich schlief. Als sein Gesicht weniger als 15 Zentimeter über meinem schwebte und ich schon seinen üblen Atem riechen konnte, machte ich die Augen auf und fragte ihn ganz unschuldig: "Can I help you?"
Das brachte ihn völlig aus dem Konzept. Etwas vor sich herstammelnd verabschiede er sich und verschwand schnell aus der Tür. Diese Nacht tauchte er nicht mehr auf - ich kann dies mit Sicherheit sagen, denn dieser Vorfall ließ mich bis zum Morgengrauen wach bleiben.

Endlich kam ich in Athen an. Vom Bahnhof aus nahm ich die U-Bahn zur Akropolis. Apropos U-Bahn, ich hatte noch nie eine so saubere U-Bahn gesehen wie die in Athen. Es durften weder Getränke noch Essen in die U-Bahn mitgenommen werden. Überall sah man Warnschilder und Videokameras über die Einhaltung der Regeln wachen. Die unterirdischen Plattformen sahen wie geleckt aus und blitzten wie Badfließen aus einem Master Proper-Werbespott.

An der Akropolis zahlte ich 2000 Drachmen Eintritt. Meinen Rucksack durfte ich nicht mit reinnehmen und musste ihn im Kontrollhäuschen für Tickets lassen.
Eine geniale Aussicht erwartete mich von dort oben. Man sah rundherum die ganze Stadt. Es gab noch unzählige besuchswürdige Bauten und Ruinen, verteilt auf den Hügeln in und um die Stadt, doch leider werde ich diese auf dieser Reise wohl nicht mehr besuchen können.
Auf der Akropolis selbst wurden Bauarbeiten durchgeführt. Überall standen Gerüste und hingen Absperrbänder. Auch waren an jeder Ecke Teile der Säulen und sonstiger Bauelemente zur Restauration angehäuft. Als ich über eine Absperrung steigen wollte, um mich in einem Steinhaufen nach Schätzen umzuschauen, hörte ich hinter mir einen Schrei und sah wie ein Wachmann in Zivil angerannt kam. Ich markierte den ahnungslosen Touristen, entschuldigte mich und machte mich schnellstens daran hinter dem nächsten Gebäude der Ruine zu verschwinden. Anschließend machte ich haufenweise Fotos und mopste zur Erinnerung einige kleinere Marmorsteinchen. Vielleicht beinhalten diese mächtige Energien, die auch mich zu einem großen Denker und Philosophen machen würden.
Anschließend holte ich meinen Rucksack ab und machte mich auf zum Abstieg.

Der breite Weg von der Akropolis in die Stadt wurde komplett neu gepflastert und es häuften sich rechts und links entlang der Straße ganze Paletten von zugeschnittenen Marmorplatten auf. Ich entdeckte einen Stapel mit kleineren glänzenden Marmorplatten - ca. 60x20x6 Zentimeter - und dachte mir, dass wenn ich schon keinen historischen Marmor auf der Akropolis klauen durfte, könnte ich mir als Souvenir doch ein Stück hiervon mitnehmen. Ich schaute mich verstohlen um und sah keine Menschen in der näheren Umgebung. Also hievte ich schnell den Rucksack von meinen Schultern, machte diesen auf und stopfte mit viel Mühe eine dieser Marmorplatten rein.
Den Rucksack wieder auf die Schultern zu bekommen war etwas aufwändig, denn das Gewicht des Rucksacks hatte sich locker verdoppelt.
In der gleißenden Mittagssonne und bei 40 Grad im Schatten, schleppte ich mich etwa 50 Meter die Straße entlang. Dann beschloss ich, dass es Souvenirs gibt, die sich zum Tragen einfach nicht eigenen. Ich setzte den Rucksack erneut ab und entledigte mich der schweißtreibenden Last.

Auf dem Rückweg in die Stadt, lernte ich ein Mädel kennen. Sie kam aus Spanien und studierte dort Psychologie. Athen besuchte sie aus reinem Bildungsinteresse. Sie war auf dem Weg zum Flughafen, um ihre Freundin abzuholen. Diese sollte ursprünglich vor einigen Tagen mit nach Athen fliegen, verpasste aber den Flieger und kam nun nach.

Ich beschloss den ersten Zug nach Patras zu nehmen. Dieser kostete zwar 1200 Drachmen Zuschlag, doch ich wollte nur ungern die Nacht am Athener Bahnhof verbringen und eine Übernachtung im Youth Hostel wollte ich mir auch nicht gönnen.
Um 22:19 Uhr fuhr der Zug los. Darin habe ich einen jungen Kanadier kennen gelernt. Er verbrachte einige Monate bei seinem Onkel in Italien, um Italienisch zu lernen und machte zum Abschluss dieses Besuchs einen Abstecher auf die Partyinsel Ios in Griechenland. Ios ist mit unserem Ballermann auf Mallorca zu vergleichen: viele junge Leute, viel Spaß, viel Alkohol und viel Sex.
Nach dem er mir erzählt hatte, was er innerhalb von vier Tage dort so alles erlebt hatte, setzte ich dieses Partyparadies ganz oben auf meine Reisewunschliste.

Vier Stunden später kamen wir in Patras an. Um 02:30 Uhr in der Nacht standen wir nun am Hafen und überlegten uns, wo wir Tickets für die Fähre herbekommen könnten. Uns blieb wohl nichts anderes übrig als doch bis zum Morgen zu warten.
Am Dock sprachen wir zwei Mädels an, die scheinbar das gleiche Problem hatten. Sie kamen aus Schweden. Die eine hieß Olga und die andere Elisabeth. Wir beschlossen zusammen zu warten. Zuerst besuchten wir eine Kneipe und blieben bis 04:00 Uhr dort. Dann schloss das Lokal.
Am Bahnhofskiosk hatten wir Trinken und Essen geholt und gingen wieder herunter zum Meer. Wir machten es uns auf der Promenade vor einem geschlossenen Café auf den Stühlen und Tischen bequem und feierten eine kleine "Nachtfete". Bald gesellte sich ein Hafenwächter zu uns und trank etwas mit. Er hatte ein tragbares Radio dabei und versuchte uns die griechische Volksmusik schmackhaft zu machen. In unserem alkoholisiertem Zustand gaben wir ihm natürlich Recht, dass die griechische Volksmusik in dieser Stunde das Beste auf der ganzen Welt sei und legte einige Runden Sirtaki aufs Parkett.
Gegen 07:00 gingen wir schlafen.


2001-06-25: Mr. Kanada und Ms. Schweden [top]

Um 09:00 Uhr begaben wir uns auf die Futtersuche. Unseren Kanadier zog es immer in die teuren Restaurants, doch wir drei Sparbrenner waren dagegen. Bald fanden wir eine Snackbude und stopften uns mit Pommes und fettigen Gyros voll.
Die Suche nach den Tickets war wie sooft eine Tortur. Zuerst wurden wir auf das HML-Büro verwiesen. Nach langer Suche fanden wir das Büro am Rande der Stadt. Dort bekamen wir wiederum Unterlagen ausgehändigt, die wir bei MedLinkLine vorlegen sollten, um Bordkarten für eine Fähre nach Italien zu erhalten. Also mussten wir den gesamten Weg zurücklaufen.
Als wir schließlich die Karten erhielten, erfuhren wir, dass die Fähre erst abends abfahren würde.
Mr. Kanada und ich wollten diese Stunden am Strand verbringen, die Mädels dagegen wollten in der Stadt bleiben, um eine Runde zu shoppen. Wir gaben unsere Rucksäcke bei der Gepäckaufbewahrung ab und machten uns zu zweit in Richtung Strand auf. Erst liefen wir einen Kilometer, hatten dann aber keine Lust mehr und stiegen in einen Bus ein. Das Arschloch von Busfahrer knöpfte uns das fünffache des Fahrtpreises ab, wie es sich auf der Rückfahrt herausstellte.

Am Strand angekommen, waren wir richtig enttäuscht: nichts mit weißem Sand - soweit wir sehen konnten, gab es nur Steingeröll, welches das Barfusslaufen richtig schmerzhaft machte.
Ich suchte ein Baugruppe auf und zog mir die Badehosen an. Bald fanden wir einen ebenen Platz und ließen uns in der Nähe des Wassers nieder. Dann pennten wir eine Runde in der prallen Sonne.

Als ich eine Stunde später mit einem heftigen Sonnenbrand aufwachte, lagen nicht weit von uns zwei Mädels. Ein kurzer Blick genügte um zu erkennen, dass diese Beiden die perfektesten Körper besaßen, die ich je in meinem Leben gesehen hatte. Die Bikinis waren ein Hauch von Nichts und sprühten nur so vor Erotik. Auch die Gesichter waren absolute Oberklasse - meiner Meinung nach war das eher eine Seltenheit hier in Griechenland.
Ich weckte Mr. Kanada und deutete mit einem Augenzwinkern die Richtung an. Sein Grinsen verriet mir sofort, dass er mich verstanden hatte. Die Mädels warfen uns verstohlene Blicke zu und wir konnten uns an den Beiden nicht satt sehen. Doch keiner traute sich die anderen anzusprechen.

Wir schwammen noch einige Runden im Meer und brachen gegen 17:00 Uhr zur Bushaltestelle auf. Kaum standen wir an der Haltestelle, kamen auch die beiden Mädels vom Strand angerannt. Als sie sahen, dass wir sie entdeckt hatten, wechselten sie in einen ruhigen, weniger auffälligen Gang. Es war wirklich rekordverdächtig, wie schnell sich die Beiden angekleidet hatten, um uns zu folgen.
Wir sprachen die Mädels an und stellten fest, dass sie nur Griechisch sprachen. Sie verstanden kein einziges Wort Englisch oder Italienisch. Gemeinsam fuhren wir mehrere Stationen mit dem Bus und versuchten vergeblich zu kommunizieren.
Einige Fahrgäste im Bus bemerkten unsere Misere und versuchten heiter zu vermitteln. Am Ende halfen uns vier Griechen-/innen bei der Übersetzung vom Griechischen ins Englische und andersrum. Es gab eine kleines Durcheinander als jeder gleichzeitig redete und wild mit den Armen fuchtelte. Die anderen Fahrgäste im Bus hatten mit Sicherheit ihren Spaß dabei.
Bald stiegen die Mädchen aus. Als sie draußen auf der Straße standen, sahen sie nochmals zurück und zuckten, unsere Sprachprobleme bedauernd, mit den Schultern. Auch wir bereuten es kein Griechisch zu beherrschen und nickten den Mädels zum Abschied. Ein Anblick, von dem ich noch monatelang träumen sollte.

Wir holten unsere Rucksäcke ab und trafen die Schwedinnen. Dann gingen wir in die Stadt und aßen diesmal in einem Restaurant, das sich Mr. Kanada ausgesucht hatte.
Um 19:00 Uhr kaufte Mr. Kanada noch eine 5-Liter-Flasche Wein und wir begaben uns auf die Fähre. Leider zerbrach die Flasche, als ich sie auf die Fähre schmuggeln wollte. Deshalb besorgte ich zwei normale Weinflaschen als Wiedergutmachung an Bord.
Wir suchten auf dem Deck einen windgeschützten Platz und richteten uns für die Nacht ein. Es wurde dunkel. Der Wein wurde aufgemacht. Bald schon holten wir aus der Kantine noch einige Flaschen Nachschub. Es wurde viel geredet und gelacht. Bald drehte sich die Welt im Kreis, doch meine Gedanken waren klar. Ich erfuhr, dass Olgas Freund in diesem Moment auch eine Rucksacktour machte - dies aber in Thailand. Elisabeth hatte auch einen Freund. Er kam aus Australien. Sie hatten sich vor zwei Wochen beim Interrailen kennen gelernt und ewige Liebe geschworen. Naja, ob man schon so was schwören kann, nach dem man einander erst einige Tage kannte? Auf jeden Fall war der Typ nun zu Hause bei den Kängurus und wollte Elisabeth bald in Schweden besuchen.

Gegen Mitternacht wollten wir uns schlafen legen - wieder an Deck versteht sich. Alle bis auf mich und Mr. Kanada hatten ihre Schlafsäcke dabei und brauchten die Kälte nicht zu fürchten. Ich dagegen erinnerte mich an meine letzte eiskalte Nachtüberfahrt mit der Fähre und schwor mir, dass es diese Nacht anders sein würde. Mr. Kanada meinte, es würde schon nicht so schlimm werden. Er zog seinen kompletten Kleiderbestand an und legte sich zwischen die Schlafsäcke der beiden Schwedinnen.
Ich torkelte durch das Innere der Fähre und suchte ein warmes Plätzchen für die Nacht. Ich zog an jeder Tür, die ich fand, doch die meisten waren verschlossen.
Bald fand ich einen offenen menschenleeren Raum. Von seiner Einrichtung erinnerte er sehr stark an einen Veranstaltungsraum oder an ein Offizierskasino. Der Boden war mit einem grünen Teppich ausgelegt. In einer Ecke stapelten sich Tische, in einer anderen Ecke standen die dazugehörigen Stühle, an einer Seite befand sich ein Ausschanktresen und an der anderen Seite stand ein Billardtisch.
Ich checkte die beiden Ausgänge. Der eine, durch den ich reinkam, führte ins Innere der Fähre und lag nicht weit von der Kantine entfernt. Die Andere Tür führte direkt ans Deck, etwas oberhalb der Stelle, an der sich die Schwedinnen und der Kanadier befanden. Hier war es warm und gemütlich, also der richtige Platz zum Übernachten. Mein Favorit war der Billardtisch, ich wollte schon immer einen Billardtisch als Bett haben. Doch dann dachte ich an den Morgen in Pithion und entschloss mich doch lieber einen weniger auffälligen Platz zu suchen.
Ich ging zu der Ansammlung der Stühle und ordnete sie so an, dass diese einen Ring bildeten. Dann legte ich mich in dem Kreis direkt auf den Boden und hoffte so einen guten Schutz vor den Blicken des Wachpersonals zu haben.
Ich schlief schnell ein. Das erste Mal wachte ich auf, als ein Wachmann seine Runde drehte und scheinbar die veränderte Anordnung der Stühle bemerkte. Ich beobachtete, wie seine Beine zwischen den Stühlen näher kamen. Er sah mich inmitten der Stühle liegen, sagte aber nichts. Ich stellte mich schlafend und hoffte so, dass er mich in Ruhe lassen würde. Die Rechnung ging auf, er stand knapp eine halbe Minute unschlüssig da, drehte sich dann um und lief seinen Weg weiter. Ich schlief wieder ein.
Das zweite mal wachte ich um 05:00 Uhr auf, weil ich erbärmlich fror. Irgendjemand hatte die Tür zum Deck aufgemacht und die Kälte hatte sich im ganzen Raum ausgebreitet. Ich fluchte und stand auf. Auch wenn ich die Tür schließen würde, würde die Kälte noch garantiert eine weiter Stunde anhalten, daher zog ich auf der Suche nach etwas Wärme weiter.
Ein Stockwerk tiefer, sah ich durch eine Glaswand reihenweise Sitzplätze der zweiten Klasse. Die meisten davon waren leer. Normalerweise wurde der Zugang bewacht und nur Fahrgäste mit einem gültigen Ausweis durften hinein, doch um diese Zeit stand scheinbar niemand Wache. Ich wollte nur schlafen, alles andere war mir egal. Daher schlängelte ich mich durch die dort schlafenden Passagiere hindurch, ließ mich in der hintersten Reihe auf einem freien Platz nieder und verbrachte dort den Rest der Nacht.


2001-06-26: Schneller Aufbruch [top]

Als ich am Morgen zu den anderen ging, war die Stimmung dort sehr frostig. Im Gegensatz zu dem vorhergehenden Tag sprach niemand ein Wort. Ich wunderte mich zwar, dachte mir aber, dass die anderen hier draußen eine beschissene Nacht hatten und deswegen schlecht gelaunt und wortkarg waren.
Als die Mädels sich in die Waschräume begaben, klärte mich Mr. Kanada auf. Die kalte Nacht und der Alkohol brachten ihn und Elisabeth etwas näher zusammen, bis sie schließlich fummelnderweise in ihrem Schlafsack landeten. Olga bekam es mit und stänkerte herum. Was Elisabeth einfalle, wollte sie wissen, sie hätte doch einen Freund und dies wäre kein feines Benehmen... Das erklärte jedenfalls die schuldvollen Blicke aller Beteiligen heute morgen.

Nach zwölf Stunden Fahrt kamen wir endlich in Brindisi an. Die Stimmung in der Gruppe war immer noch beschissen. Die Mädchen wollte eine Dusche aufsuchen, um sich mal wieder richtig waschen zu können. Ich hatte eher den Eindruck, dass die Beiden dringend etwas Zeit für sich selber brauchten, um über den Vorfall von gestern Nacht ungestört reden zu können.
Mr. Kanada und ich gingen zum Bahnhof, um nach den Zügen in Richtung Rom zu schauen. In einer Stunde wollten wir uns dann mit den Mädchen wiedertreffen.

Am Bahnhof erfuhren wir, dass der nächste Zug um 10:15, also in einer halben Stunde abfahren würde. Ich hatte keine Lust mehr auf die Stimmung in unserer Gruppe, außerdem wollte ich so schnell wie möglich heim, denn das Heimweh kündigte sich langsam an. Ich verabschiedete mich von Mr. Kanada, bat ihn mich bei den Mädels zu entschuldigen und den Beiden schöne Grüße auszurichten. Dann wechselte ich mein restliches Geld in Lire, zahlte den Aufschlag von ca. 30 DM für den Zug und war auf dem Weg nach Rom.

Dort angekommen, stellte ich fest, dass mir für die restliche Reise gerade mal 25 DM übriggeblieben waren. Zum Abendessen gab es nur eine Flasche vom billigsten Eistee, auf feste Nahrung musste ich aus Geldmangel vorerst verzichten.
An der Information bekam ich patzig einen Zug genannt, mit dem ich als Interrailer kostenfrei nach Florenz fahren könnte. Glücklicherweise sah ich nochmals selbstständig auf den Fahrplan und stellte fest, dass der empfohlene Zug für mich ganz und gar nicht frei war, sondern einen weiteren Aufschlag kostete. Diese Auskunft war wieder so ein typischer Fall von (Achtung, Zynismus!) italienischer Kompetenz und hochgelobter Freundlichkeit. Doch dafür hatte ich nun wirklich kein Geld mehr übrig. Ich fand eine Route über Pisa nach Florenz und fuhr mit dem Regio los.


2001-06-27: Der schiefe Turm geht heimwärts [top]

In Pisa angekommen, frage ich am Bahnhof den erstbesten Passanten, wo sich der Schiefe Turm von Pisa befände. Der Italiener stellte sich als ein Student heraus, der einige Semester in Pisa studiert hatte und nun hier einen Freund besuchte. Er meinte, dass sein Weg in die gleich Richtung führe und lief mit. Wir hatten 23:00 Uhr. Von ihm erfuhr ich, dass Pisa eine Studentenstadt wäre und dass es hier nicht viele Ausgehmöglichkeiten gäbe. Daher trafen sich viele Jugendliche zum Feiern auf den öffentlichen Plätzen. Auch eine Menge Landstreicher und Bettler hielten sich hier in der Stadt auf.
Der Student begleite mich den halben Weg zum Turm und erklärte mir dann den weiteren Weg.
Schließlich fand ich den Turm. Das erste Mal, als ich ihn sah, ragte er an einer kleinen Kreuzung zwischen mehreren Häusern auf und war von Scheinwerfern hell beleuchtet. Ein sagenhafter Anblick. Ich ließ mich, wie viele andere auch, auf der Wiese vor dem Turm nieder und genoss den Anblick. Da alle meine Filme verbraucht waren, konnte ich den Turm leider nicht mehr fotografieren.
Hinter mir saß ein junger Typ mit einem riesigen Rucksack und aß. Ich fragte ihn, ob er auch ein Interrailer sei, er bejahte dies. Sein Name war Gerhard und er kam aus Österreich. Die letzten drei Wochen reiste er mit seiner Brieffreundin durch Europa. Auf dem Heimweg kamen die beiden durch Rom, wo er seiner Freundin zu Hause ein Kleid kaufte. Als er nach Österreich zurückkam und seine Freundin das Kleid anprobiert hatte, stellte sie fest, dass es zu klein war. (In Italien muss man bei Kleidergrößen immer zwei Nummern hinzurechnen, um die passende Größe zu erhalten.) Nun war er auf dem Weg nach Rom, um dieses Kleid umzutauschen. Sein Interrailticket war noch einen Tag gültig, so dass es recht knapp sein würde, innerhalb eines Tages nach Rom und wieder nach Österreich zu fahren. Aber er versuchte es trotzdem.
Punkt 24:00 Uhr wurde der Platz um den Turm abgeriegelt und alle Touristen, sowie die Einheimischen mussten gehen. Wir suchten uns ein ruhiges Plätzchen auf den Stufen eines Geschäftes an der Hauptstraße und unterhielten uns stundenlang. Währenddessen leerten wir noch den restlichen Wein, von dem sich noch eine halbe Flasche von der Fähre in meinem Rucksack befand und genossen die warme Sommernacht. Auf dem Platz vor uns, saß auf den Stufen vor einer Kirche eine Gruppe von zirka dreizig Jugendlichen. Von dort hörte man Gespräche und Lachen. Einer von ihnen begleitete den Abend mit Gitarrenmusik.
Gegen 03:00 Uhr gingen wir zum Bahnhof. Auf dem Weg dahin wurden wir von einem besoffenen Typen ziemlich dumm angemacht - da es aber zwei gegen einen stand, hatte er sich ziemlich schnell verzogen.
Am Bahnhof lernten wir ein Pärchen aus Alaska kennen, welches durch Europa eurorailte. Der Mann wurde in Deutschland geboren, wanderte erst nach Hawaii und dann nach Alaska aus. Dort fand er seine große Liebe.
Nachdem Gerhard seinen Zug nach Rom nahm, blieb ich noch eine Stunde mit den Alaskaleuten zusammen, bis schließlich auch mein Zug ankam.

Um 05:00 Uhr kam ich in Florenz an. Ich sah mir einige der Touristenmagnete der Stadt an und stellte fest, dass diese Stadt viele Ähnlichkeiten mit Würzburg hatte. Ich fühlte mich hier sofort heimisch.
Dann begab ich mich zum Bahnhof und druckte mir an einem der Automaten die Reiseroute nach München aus. Gegen 10:00 Uhr zahlte ich von meinem letzten Geld einen weiteren Sonderaufschlag für die Strecke Florenz - München und fuhr mit dem Zug Richtung Heimat.

Im Zug lernte ich einen zirka 35jährigen Amerikaner und seinen Vater kennen. Die beiden machten einen wohlhabenden und gebildeten Eindruck. Sie hatten die letzten Wochen halb Europa durchquert und waren nun auf dem Weg nach Sibirien, Mongolei und China. Davor wollten sie aber noch einige Orte in Deutschland besuchen. Sie hörten sogar von Würzburg und wollten, wenn es die Zeit zulasse, die Stadt besuchen. Ich gab den Beiden meine Telefonnummer und bat sie mich anzurufen, falls sie wirklich in die Stadt kommen würden, damit ich ihnen dort einige Sehenswürdigkeiten zeigen könnte.

Auf dem halben Weg stieg eine zirka 40jährige Italienerin ein und nahm bei uns im Abteil Platz. Sie behauptete Menschen durch Handauflegen heilen und positive Energien freisetzen zu können. Sie las mir die Zukunft aus der Hand und meinte, dass ich mit 28 Jahren eine große Veränderung in meinem Leben haben werde. Außerdem sollte ich immer meinem Herzen und nicht dem Verstand folgen, denn nur so würde ich die in mir vorhandenen starke künstlerischen Energien freisetzen.
Ich wollte die Dame nicht blamieren und täuschte Interesse und Glauben vor. Als sie eine Stunde später ausstieg, stellte sich heraus, dass die anderen Beiden genauso dachten und sich während der Erzählungen der Frau nur schwer das Loslachen verkneifen konnten.
In Österreich kam ein Kontrolleur und checkte unsere Fahrkarten. Ich meinte zu ihm, dass ich nach den ganzen Wochen Englischreden wirklich froh wäre jemanden zu treffen der Deutsch sprach. Daraufhin erwiderte er ganz schnippisch, dass er nicht Deutsch, sondern Österreichisch sprach. Blöde Zicke!
Als er meine Fahrkarte sah, meinte er, ich müsste mit meinem Interrailticket für den Teil ab der österreichischen Grenze bis München einen Aufschlag zahlen. Beim Interrailen müsste man in seinem Heimatland immer den halben Fahrpreis zuzahlen. Ich hatte noch nie von dieser Regelung gehört und bisher hatte mich auf deutschem Boden auch noch kein Kontrolleur drauf angesprochen. Ich weigerte mich diesen Aufschlag zu zahlen. Erstens hatte ich genug von den ständigen Aufschlägen, trotzt der Behauptung mit dem Interrailticket würde man mit dem Zug überall kostenfrei hinkommen. Und zweitens hatte ich eh kein Geld mehr bei mir. Der Österreicher stänkerte etwas herum und ließ mich dann trotzdem ohne Zahlung weiterfahren. Später erfuhr ich, dass der Kontrolleur recht hatte.

In München verabschiedete ich mich von den beiden netten Amis, holte mir für meine letzte Mark ein Gebäck beim Bahnhofsbäcker und stieg in meinen Zug, um die letzte Etappe auf dieser Reise in Angriff zu nehmen.

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