Ich weiß wo deine Ideen herkommen

Einmal auf einer kleinen gemütlichen Sauf-und-Abhäng-Fete in der Wohnung eines Freundes, drehte sich zwischen zwei Schlucken Becks Gold ein Kumpel zu mir um und sah mich seltsam an. Ein für seinen Zustand erschreckend klarer Blick ließ mich aufmerksam werden.
"Ich weiß ganz genau wo du deine Ideen beim Schreiben her nimmst", sagte er ganz plötzlich mit klarer Stimme.
Das kam für mich so überraschend, dass ich außer einem "Ach ja?" gar nichts herausbrachte.
"Ja", meinte er ganz ernst, "Ich weiß es ganz genau. Und zwar nicht nur du, sondern auch die anderen Schreiberlinge. Einfach alle Menschen auf dieser Welt."
Darauf hin sagte ich etwas irritiert: "Da bin ich aber gespannt. Ich höre zu." Innerlich bereitete ich mich auf eine dieser sinnlosen Diskussionen, wie sie bei solchen Sessions oft stattfinden. Ich rollte meine mentale Campingdecke aus, legte mich bequem hin und war für dieses pädagogisch wertvolle Gespräch bereit.
Ich wartete.
Er schwieg.
Dann sah ich plötzlich wie die Erkenntnis langsam aus seinen Augen verschwand und wieder dem der Situation angemessene Ausdruck Platz machte. Er sah mich noch einige Sekunden verklärt an und wand sich dann ohne ein Wort zu sagen wieder seiner Flasche zu.
Ich zuckte mit den Schultern, trank mein Bier aus und öffnete die nächste. Augenblicklich war das Thema vorerst vergessen und der Abend verlief wie sooft ohne besonderer Höhepunkte des menschlichen Denkens.
Doch bis heute frage ich mich, was er damals gemeint hatte. Hatte er möglicherweise eine Art Erleuchtung? Hatte er wirklich eine Lösung auf dieses allseits bekannte und Jahrtausende überdauernde Problem gefunden? Wahrscheinlich ist dieser einzigartiger Geistesblitz mit eben der einen Gehirnzelle verschwunden, die dank Alkohol in dem einen Moment abdankte. Schade, ich hätte alles für seine Antwort gegeben.
Doch je länger ich über diesen Abend nachdenken, desto mehr kristallisiert sich eine zweite Theorie heraus. Was, wenn er mir doch eine Antwort gegeben hatte. Eine Antwort, als er einen weiter Schluck aus seiner halbvollen Flasche nahm. Die Lösung aller Probleme liegt scheinbar wirklich im Bier oder besser gesagt im Alkohol?
In letzter Zeit experimentiere ich oft mit verschiedenen Arten und Mengen dieser Getränkegattung herum und warte auf eine finale Vision. Auch gebe ich inzwischen gerne mal einen aus. Und das nicht nur dem einen Kumpel, ich lade jeden zum Trinken ein. Und dann warte ich, höre ganz genau hin, sehe ganz genau hin. Ein zweites Mal wird sie mir nicht entwischen, diese hinterlistige Lösung. Ich werde sie blitzschnell packen, dann fachmännisch verbalisieren und gekonnt aus dem Redner herausziehen.
Und dann fange ich endlich zu schreiben an.

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